Geknickte Leben, aber nicht zerbrochen

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Editorial von Martin Ben-Baier, Chefredakteur des Evangelischen Sonntagsblattes aus Bayern

Editorial vom Chefredakteur Martin Bei-Baier für das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern

Das geknickte Rohr aus dem Wochenspruch (Seiten 1 und 16) beschäftigt mich jedes Jahr aufs Neue. Allein, weil ich jedes Mal bemüht bin, eine anderes Foto zu finden – am Besten von einem geknickten Schilfrohr. Da gibt es dann mal eines mit und mal ohne Vogel. Dann ist die Auswahl, die ich finde meist zu Ende. 

Dieses Mal fand ich einen geknickten Baum. Werden die Leser den Zusammenhang dennoch erkennen? Oder gibt es wieder Zuschriften und Anrufe von Leserinnen und Lesern, das sei doch gar kein Rohr, wie bei der Gerstenähre in der Passionszeit?

Und jedes Mal sinne ich über den Vers und seine Bedeutung nach. Geknicktes begegnet mir im Leben genügend. Menschen, die den Verlust eines geliebten Angehörigen nicht verkraften können und zu lange in der Trauer stecken bleiben. Mir fällt meine Freundin Katja* ein (* Namen geändert). Sie wurde vom Tod ihres Vaters so überrascht, dass sie lange schwere psychische Probleme hatte, trotz psychologischer Hilfe. 

Dann gibt es Knicke im Lebenslauf. Mein Schulfreund Uwe* hat den Sprung vom Studium ins Berufsleben einfach nicht geschafft. Zu schnell veränderten sich Technik und Arbeitsbedingungen. Alles,  was er im Informatikstudium gelernt hatte, nutzte ihm nichts mehr. Er ist seitdem arbeitslos.

Ich indes bin von dem geknickten Baum, dessen Bild ich gefunden habe, ganz fasziniert. Wenn man genau hinsieht, ist es ja kein Knick, den der Baum da macht. Ihm wurde ein Ast ganz genommen. Vermutlich hat ihn ein Sturm einmal abgerissen. Doch seitlich davon ist ein Ast weiter gewachsen. 

Kam er als Trieb nachdem der Hauptast weggebrochen war? Oder ist er schon da gewesen, kleiner und schwächer als der andere? Nun, da er alleine die Hoffnung des Baumes geworden war, ist er selbst zum tragenden Ast der Baumkrone geworden.

Der Vers des Propheten Jesaja sagt zu, dass es für hoffnungslose Fälle Hoffnung gibt. Gott schenkte dem zerrissenen und deportierten Volk Israel eine Zukunft, wo es keine mehr sah. Doch sie kam! 

Das klingt nach Happy-End. Unglaubwürdig? Ich weiß auch, dass das nicht in jedem Fall eintrifft. Uwe ist seit etwa 30 Jahren arbeitslos und bleibt das wohl lebenslang. Bei unserem Baum war es ein unerwarteter Trieb, der Zukunft brachte. Katja hat ihre Probleme weitgehend bewältigt, als sie unverhofft den Mann fürs Leben fand.