
Editorial in Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Raimund Kirch
An dieser Stelle im Blatt schreiben zu dürfen ist ein hohes Privileg. Sollen Sie doch Appetit auf den Inhalt des jeweiligen Heftes bekommen. Wobei es auf die richtige Mischung aus aktueller Berichterstattung, zeitnaher Kommentierung, spirituellen Impulsen und natürlich auch: Unterhaltung ankommt.
In meiner Zeit als Zeitungsredakteur hatten wir immer eine fiktive Person vor Augen, durch deren Brille wir unsere Artikelauswahl trafen. Sie hieß Frau Blaschke. Denn wenn wir uns nicht ganz sicher waren, fragten wir uns stets: Interessiert das auch Frau Blaschke? Versteht das, was wir da
geschrieben haben, auch Frau Blaschke? Was würde wohl Frau Blaschke dazu sagen?
Kurzum: Frau Blaschke saß immer mit am Redaktionstisch. Das war heilsam und manchmal nervte es auch die jüngeren Kollegen und Kolleginnen. Aber oft wissen wir nicht genau, wie unsere angeblich wasserdichten Artikel aufgenommen werden, was sie in den Köpfen auslösen. Und nicht jeder und jede hat das Glück wie ich, an meinem Wohnort einen Leser zu haben, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt und unverhohlen Kritik übt, wenn ihm eine Meinung gegen den Strich geht.
Manchmal passt das, manchmal würde ich diesen Begegnungen gern aus dem Weg gehen. Lange stehen wir dann beieinander und reden uns die Köpfe heiß. Komplizierter ist es bei anonymen Zuschriften. Ab und zu bekomme ich Post von einem Schreiber, ich gehe einmal davon aus, dass es ein Mann ist, der mir mal mehr oder weniger sanft erklärt, dass ich seiner Meinung nach falsch liege; er zeigt mir jedoch auch, wo ich geschludert habe.
Selbst dafür bin ich dankbar, und nenne ihn insgeheim „mein gutes schlechtes Gewissen“ – nur: manchmal würde ich auch gern meine Position noch präzisieren. Haben Sie also Mut, lieber unbekannter Leser, Ihre Adresse anzufügen. Ich würde gern antworten.
Denn das ist klar. Fehlbar sind wir alle. Journalisten und Journalistinnen zumal. Wir wehren uns allerdings gegen den populistischen Vorwurf, Nachrichten bewusst zu verfälschen und ideologisch zu verbrämen. Für alle meine Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, lege ich meine Hand ins Feuer, dass sie, so wahrhaftig es für sie möglich ist, berichten und ohne die berühmte Schere im Kopf zu kommentieren.