Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zur Geißelung Jesu
Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an und traten zu ihm und sprachen: Sei gegrüßt, König der Juden!, und schlugen ihm ins Gesicht. Und Pilatus ging wieder hinaus und sprach zu ihnen: Seht, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. Da kam Jesus heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Sehet, welch ein Mensch!
Johannes 19,1–5
Die Szene im Johannesevangelium wirkt wie auf einer Theaterbühne. Pilatus in der Rolle des hin- und hergerissenen Statthalters geht wiederholt zwischen dem Inneren des Gebäudes, wo er Jesus verhört, und der Menge draußen hin und her.
Die Bühne ist erfüllt von Geschrei und Gewalt aber auch von blanker Ohnmacht. Von schutzlosem Ausgeliefertsein. Es ist die Bühne des Lebens – damals wie heute. Mit Wiedererkennungseffekt vor allem da, wo Menschen gefangen sind in Verstrickungen und äußeren Umständen, die sie selbst nicht beeinflussen können. Betroffene von sexualisierter Gewalt erleben solche Dynamiken in unerbittlicher Härte.
Und mittendrin Jesus. Da steht er, der Mensch „Ecce Homo“. Wenn ich mich den Figuren nähere, spüre ich, da sind Dynamiken am Wirken, die ich kenne: Das voreilige Urteil, die scheinbar rein pragmatische Abkürzung des langwierigen Prozesses, die Gruppe, die einen einzelnen spielend loswerden kann, wenn die Mehrheit es beschlossen hat.
Auf dieser Bühne aber entsteht nun plötzlich ein neues Bild: Die Soldaten bekleiden den, den sie mit Schlägen misshandeln und demütigen mit einem Purpurmantel und einer Dornenkrone, in der makabren Absicht ihn vollends der Lächerlichkeit preiszugeben. Und doch ist die Szene zweideutig. Königlich gekleidet dieser geschlagene Mensch. Paradox. Überraschend. Der Hohn der Soldaten macht auf unfreiwillige Weise das Wesentliche deutlich.
Seht, welch ein Mensch – wie Gott ihn geschaffen hat, gewollt in all seiner Verletzlichkeit, gekleidet in königlichen Purpur. Das Paradoxe der Szene eröffnet den Blick für die Wahrheit: Der unschuldig Verurteilte wird in seiner Lebenshingabe zum König. Ich lasse das Bild auf mich wirken. Kann ich mich dieser Wahrheit nähern? Was erkenne ich für mich darin?
Am Sonntag Judika nähern wir uns diesem Menschen. Wir verlassen die Rollen, die wir kennen, und nehmen wahr, dass da einer steht, der die Dynamiken, die uns zugrunde richten, offenlegt. Purpur-Mantel und Dornen-Krone erzählen davon, was Jesus meint, wenn er sagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Kunst und Theater können helfen, der Wahrheit des Evangeliums auf die Spur zu kommen. Aus ihr heute zu leben, dürfen wir auf der Bühne unseres Lebens jeden Tag neu einüben.
Ulrike Bartelt, Geschäftsführerin und Theologische Leitung
im Evang. Bildungswerk Schwabach e.V.
Gebet: Geschlagener, Geschundener / Mit Dornen Gekrönter, in Purpur Gekleideter, / wir nähern uns Dir, wo wir uns selbst schutzlos machen. / In uns wohnt die Sehnsucht Deine Stimme zu hören. / Schenke uns Anteil an Deiner Wahrheit. / Lass uns erkennen, dass Du uns längst erkannt hast. Amen.
Lied EG: 396,6