Heraustreten aus „ideellen Fertighäusern“ – Teil 1

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Allgegenwärtiger Kirchentag in Hannover: Transparente und Zelte auf dem Weg zum Hauptbahnhof. Überfüllte Bibelarbeit in der zentralen Marktkirche mit Emmanuel von Christoupolis, Bischof der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland, und Diakoniepräsident Rüdiger Schuch. Fotos: Borée
Allgegenwärtiger Kirchentag in Hannover: Transparente und Zelte auf dem Weg zum Hauptbahnhof. Überfüllte Bibelarbeit in der zentralen Marktkirche mit Emmanuel von Christoupolis, Bischof der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland, und Diakoniepräsident Rüdiger Schuch. Fotos: Borée

Kirchentag diskutierte über das Engagement von Kirche und gab geistliche Impulse – Teil 1: Ahnender Kirchentag?

Hannover. Wie politisch darf und soll Kirche sein? Diese Frage beherrschte ausgesprochen und genauso unausgesprochen den 39. Evangelischen Kirchentag in Hannover. Schon im Vorfeld diskutierten gerade fromme Christen darüber, ob es sich noch lohnt, überhaupt zum Kirchentag zu fahren. Pastor Stefan Felber als Leiter des Gemeindehilfsbundes mit Sitz in Walsrode etwa riet in der Zeitschrift „idea“ schon vor dem 30. April davon ab. „Er stellt nicht mehr nur die legitime Vielfalt der Kirchen dar, sondern schließt die sündhafte, auch interreligiöse Vielfalt der Welt ein“, argumentierte er. Auf wertvolle Begegnungen und den Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen verwies hingegen sein Diskussionspartner Andreas Dreyer. Zuvor schon gab es viel Kritik daran, dass etwa keine AfD-Mitglieder zu Veranstaltungen eingeladen worden waren.

Und war dieser Kirchentag in Hannover wirklich einseitig politisch? Natürlich bot er unzähligen Politikern und Politikerinnen eine Bühne – an der Spitze Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er rief bereits zum Eröffnungsabend auf dem zentralen Platz der Menschenrechte in Hannover zu gesellschaftlichem Engagement und zum Dialog auf. Es sei vielleicht die wichtigste Botschaft, die die Kirche der Welt geben könne: „Dass wir Hoffnung haben dürfen, dass wir als Christen Zuversicht haben dürfen, dass die Zukunft offen ist, dass wir uns von Bedrängnissen der Gegenwart befreien können.“

Angesichts einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft könne das Christentreffen zugleich ein Ort des Dialogs sein, an dem Menschen einander aus der Lethargie aufrütteln und zugleich in zu großer Aufgeregtheit beruhigen könnten, sagte Steinmeier. Der Kirchentag biete die Chance, „dass wir uns aus unseren ideellen Fertighäusern herausbegeben“. Im Anschluss an die Eröffnung kamen nach Angaben der Veranstalter rund 150.000 Menschen bei milden Temperaturen zu einem Straßenfest in der Innenstadt. 

Lohnte der Kirchentag? Der Etat dafür betrug rund 25 Millionen Euro. Das Land Niedersachsen steuerte sieben Millionen Euro bei, die Stadt Hannover vier Millionen Euro und die hannoversche Landeskirche 7,4 Millionen Euro. Der Rest entfiel auf Werbeeinnahmen von Sponsoren und aus dem Ticketverkauf. Selbstredend war auch die von humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung geförderte Kunstaktion mit dem „11. Gebot: ‚Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!‘“ wieder mit dabei. 

Insgesamt gab es rund 1.500 Veranstaltungen zu Glaubensfragen und gesellschaftlichen Themen aber auch zum gemeinsamen Singen und Beten. Die Veranstaltenden rechneten bereits im Vorfeld mit 100.000 Teilnehmenden. Trotzdem waren viele Veranstaltungen überfüllt. Interessierte mussten teils allzu lange zuvor anstehen. Das galt selbst für Bibelarbeiten am frühen Morgen. Nur Mittagsgebete waren noch entspannter.

Zwar wollte die Kirchentags-App überfüllte Veranstaltungen in einem Ampelschema „rot“ markieren. Doch das sprang teils erst an, wenn zuvor schon Schilder „Überfüllt“ hoch gehalten wurden oder sich lange Warteschleifen gebildet hatten. Mund-zu-Mund-Informationen waren hilfreicher. „Willst Du auch dorthin?“, so sprach mich auf dem Weg zu einer Bühne eine wildfremde Frau an. „Keine Chance mehr, ich bin auch schon gegangen.“ Der Warnnhinweis meiner Kirchentags-App leuchtete erst danach auf.

Anstatt der geplanten Veranstaltungen gab es aber durchaus Alternativen, die erlebenswerter waren als zuvor gedacht. In der Innenstadt herrschte vielerorts Straßenfest-Atmosphäre. Es gab viele spontane, auch spirituelle Begegnungen für alle, die nur die Augen dafür offenhielten. Und wer wollte, konnte auch an einem der frommen Stände allerorten Begegnungen finden.

Abendgebete im Schein der Kerzen, die die Besucher in den Händen hielten, tauchten die großen Plätze der Hannoveraner Innenstadt in ein Lichtermeer. Am 1. Mai gab es einen großen ökumenischen Gottesdienst mit Katholiken und Orthodoxen. Bei einer Bootspartie auf dem Maschsee konnten sich Paare segnen lassen.

Ein Singmarathon in Hannovers Christuskirche bot 74 Stunden rund um die Uhr Musik – auch die ganze Nacht hindurch. Auch nachts seien durchgehend genügend Gäste da gewesen, erklärte Projektleiter Ulf Pankoke vom Zentrum für Kirchenmusik stolz, da zu dieser Zeit sonst keine Veranstaltungen stattgefunden hätten. Im Stundentakt wechselten sich Musiker, Bands und Chöre ab, um das Mitsingen der Kirchentagsgäste anzuleiten. Auch bekannte Künstler wie Fritz Baltruweit und der Pianist und Pop-Kantor Jan Simowitsch waren dabei. 

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