
Biblische Bilder von Ödnis, Hitze und Trockenheit fragen nach der Tiefe der Verwurzelung
„Sind wir bald da?“ – Die Frage aus dem Kindermund auf der Rückbank eines Autos ist ebenso klassisch wie tiefgründig. Denn sie offenbart mehr als nur Ungeduld: Sie bringt das Gefühl einer inneren Leere, einer diffusen Unruhe zum Ausdruck. Dahinter steckt eine Sehnsucht nach Orientierung, die Hoffnung auf eine schnelle Ankunft an einem Ziel.
Die Zeit dehnt sich scheinbar unendlich, der Sinn fehlt, nichts scheint von Bedeutung. Langeweile, das ist eine Mischung von lähmender Müdigkeit und Überdruss. Unsere Überflussgesellschaft erfährt darin den Mangel – nicht an Dingen, sondern an Bedeutung. Ist Langeweile also ein aktuelles Luxusproblem? Oder ist sie ein uraltes Phänomen, das sich nur in moderner Verpackung zeigt?
Wer an das Leben der Menschen in biblischen Zeiten denkt, hat meist einen Alltag voller Mühen und Pflichten vor Augen. Überhaupt genug Essen, Wasser, Schutz zu erhalten – das tägliche Überleben war harte Arbeit. Dennoch schildert die Bibel Zustände, die wir als innere Leere verstehen.
Besonders in den Schriften der alttestamentlichen Weisheitsliteratur zeigt sich, ein Ringen mit dem Überdruss. Allen voran im Buch Kohelet (Kapitel 1), entstanden im 3. Jahrhundert vor Christus: Vergnügen, Besitz, Wissen – „alles ist Windhauch.“ Das Leben erscheint dem Verfasser als endlose Wiederholung, ohne Tiefe. Dies wird zur Belastung, zur existenziellen Leere, die den Sinn infrage stellt.
Wüste als Spiegel der Seele
Öde, Entzug, Unterbrechung – dafür steht in der Bibel auch oft das Bild der Wüste. Sie ist im Heiligen Land – und seiner Umgebung – allgegenwärtig. Während der 40-jährigen Wüstenwanderung des Volkes Israel wird dies zu einer besonderen Herausforderung. Anfangs ein Triumphmarsch in die Freiheit, wird sie bald zur existenziellen Geduldsprobe für die Menschen. Dem täglich vom Himmel fallenden Manna, das sie versorgt, sind sie überdrüssig. In ihrer Leere, in der ihnen Gott zu fern zu sein scheint, sehnen sie sich nach greifbarer Ablenkung – und schaffen sich das Goldene Kalb.
Auch nach der Ankunft im Heiligen Land kann Dürre herrschen. In Jeremia 17,5–6 klingt das drastisch: „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt (…) Er wird bleiben in der Dürre der Wüste, im unfruchtbaren Lande“. Doch schon der nächste Vers bietet das totale Gegenprogramm: „Gesegnet ist der Mann, der sich auf den Herrn verlässt (…) Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach hin streckt. Denn obgleich die Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben grün“ Nicht die Umstände sind entscheidend – sondern die innere Verankerung – wie auch Psalm 1.
Vor seinem öffentlichen Wirken zieht sich Jesus 40 Tage lang in die Wüste zurück. Nicht als Rückzug vor der Welt – sondern als Konfrontation mit dem Wesentlichen. Kein Trubel, keine Ablenkung – nur Stille. Ein solcher Seelenzustand stellt selbst ihn auf die Probe. Das Aushalten dieser Leere gegen alle Versuchung führt zu Klarheit und innerer Stärke. Die Wüste wird zum Ort der Verwandlung. Jesus sucht sie als Resonanzraum, um mit Gott ins Gespräch zu kommen.
Lange Weile der Hoffnung
„Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, wird in Ewigkeit nicht dürsten“, so verspricht es Jesus der Samariterin am Jakobsbrunnen (Johannes 4,14). Eigentlich hätte er als religiöser Lehrer seiner Zeit mit ihr als Frau, die zudem dem jüdischen Volk nicht angehörte, überhaupt nicht reden dürfen. Aber auch sie erhält dieses seelige Wasser nicht einfach so, sondern soll zunächst ihr Leben in Ordnung bringen.
Die ersten Christen lebten in der Hoffnung auf eine baldige Wiederkunft des Auferstandenen. Doch aus der „kleinen Weile“, die Jesus in seinen Abschiedsreden versprochen hatte, wurde eine lange Weile. Wie umgehen mit dieser Verzögerung?
So schreibt Paulus: „Auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit“ (Römer 8,21). Für ihn ist diese lange Weile eine Prüfungszeit, um die Hoffnung auf Gottes kommendes Reich zu bewahren und zu bewähren.
Von der Wüste zur Weisheit
Was die Bibel beschreibt, beschäftigt auch Philosophen seit Jahrhunderten. Auch wenn es im Griechischen und im Latein kein Wort gibt, das unserem deutschen Wort Langeweile entspricht, sprechen antike Autoren um Sinnleere und (Lebens-)Überdruss. Im 17. Jahrhundert erkannte der französische Philosoph Blaise Pascal die Bedeutung der Langeweile. Sie konfrontiert uns mit unserer Unzulänglichkeit. Er sah in ihr eine fundamentale menschliche Erfahrung, die er selbst als Zumutung empfand.
Genauso versuchte Sören Kierkegaard tunlichst Langeweile zu vermeiden. Gleichzeitig empfand er die reine Flucht vor der Langeweile als unbefriedigend und oberflächlich. Er forderte stattdessen eine tiefere und authentischere Auseinandersetzung mit dem Leben und der eigenen Existenz.
Martin Heidegger ging noch weiter: Für ihn ist tiefe Langeweile eine Grundstimmung die grundlegende, vorherrschende Verfassung des menschlichen Daseins. Es prägt unser Weltverhältnis – ein Moment, in dem uns die Sinnlosigkeit des Alltags bewusst wird und wir wie nackt vor dem Leben stehen.
Die Psychologie ergänzt heute: Langeweile ist nicht bloß ein Zustand des Nichtstuns. Sie ist der Impuls, sich nach Sinn und neuer Orientierung zu sehnen. Sie kann uns antreiben, uns weiterzuentwickeln.
Die Erfahrung der Langeweile, der Leere, der inneren Ödnis wird schon in der Bibel als Chance begriffen. Als Einladung zur Verlangsamung, zur Neuausrichtung, zur Rückbesinnung – als Zwischenraum, in dem das Neue wachsen kann. Dann wird aus der langen Weile ein Moment, in dem die Seele zur Ruhe kommt – nicht trotz, sondern wegen der Leere. Die Wüsten-Erfahrung kann Gericht sein – aber auch Einladung zur Neuorientierung.
Und in der Vision des letztendlichen Trostes wird die Wüstenzeit, die das Leben beschwert hat, vergangen sein. In der Offenbarung 7,16–17 heißt es: „Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“
Die Hitze auch dieses Sommers macht lethargisch und schafft gleichzeitig Überdruss. Wer dieser Herausforderung nicht ausweicht, kann neu hören. Anstatt ungeduldig darauf zu warten endlich an unserem Ziel anzukommen, geschieht Verwandlung. Dann findet die Seele Ruhe in Gott.