Klings „Spurenfinder“ entdecken neben dem „Drachenzepter“ eigene Versuchung und Illusion
„Du meinst, das Zepter verleiht Macht, weil alle daran glauben, dass es Macht verleiht?“ So fragt die 13-jährige Ada ihren Vater Elos. Sie leben in einer magischen Welt, die in mittelalterlichen Strukturen erstarrt zu sein scheint.
Auf den ersten Blick wirken „Die Spurenfinder und das Drachenzepter“ wie ein klassisches Fantasy-Abenteuer. Es ist für Jugendliche ab etwa zwölf Jahren gedacht. Gleichzeitig kommt es sprachlich leichtfüßig daher. Doch unter der spannenden Oberfläche und den pointierten Dialogen verbirgt sich mehr in dem neuen Werk, das Marc-Uwe Kling mit seinen Töchtern Johanna, Luise und Elisabeth geschrieben hat: Eine Auseinandersetzung über Themen wie Erinnerung, Wahrheit, Verantwortung und Generationswechsel – mit viel Tiefgang auch für Erwachsene.
Der „Spurenfinder“ Elos von Bergen und seine 13-jährigen Zwillinge haben sich im abgelegenen Örtchen Friedhofen in einer der „Verlorenen Provinzen“ niedergelassen. Nun wird er an den Königshof gerufen, um das verschwundene Machtsymbol schleunigst wiederzufinden. Schließlich steht das hundertjährige Jubiläum der Unabhängigkeitsfeiern in wenigen Tagen an.
Allein schon die Erinnerung an die Unabhängigkeit ihres Landes birgt Anlass genug, über historische Legendenbildung in kaum verschleierter Form nachzudenken: Bereits in der Botschaft mit ihrem Auftrag können Ada und Naru – also eigentlich Lesenden mit ihnen – lernen: „Zwischen den Zeilen steht viel mehr als in den Zeilen“. Ja, da lassen sich selbst versteckte Hinweise zur Lösung des Rätsels entdecken.
Es versteht sich von selbst, dass die beiden Halbwüchsigen zusammen mit dem berühmten Spurenfinder aufbrechen, um sich auf die Suche zu begeben. An der Schwelle zur Erwachsenenwelt halten sie durch ihr Hinterfragen die Handlung in Gang. Selbst ihr Geplänkel bietet wesentliche Impulse zur Lösung des Falls inmitten aller bekannten Spurensucher. Neben Elos sind sie mit all ihren mehr oder weniger herausragenden magischen Fähigkeiten zur Suche zusammengekommen.
Elos von Bergen braucht mit unbeabsichtigter Hilfe der Zwillinge nur wenige Sekunden, um den Fall zu lösen. Das Buch könnte nach 80 Seiten und einem schnellen Finale zu Ende sein, doch nun gehen die Verwicklungen erst richtig los: Das Drachenzepter verspricht zwar Macht, bringt aber auch deren Versuchung – bis hin zu Spaltung und Konflikt.
„Denn hier ist etwas faul, das spüre ich“, so der Spurensucher-Kollege Jurlik Lohenstien beim Festbankett, das den Erfolg der Helden feiern soll. Er ist ihr brutales und eitles Gegenbild – doch schon am nächsten Morgen gewaltsam zu Tode gekommen. Braucht es noch mehr ironische Brechung? Hinter dieser Gewalttat werden sofort die Nachtmagier vermutet, die weiter Unruhe säen wollen.
Magie mit Haltung
Doch halt, so schnell geht es nicht! Die „Spurenfinder“ müssen eigene Illusionen und Versuchungen überwinden, um zu einer nachhaltigeren Lösung zu kommen. Grundsätzlicher gesagt: Sie klären nicht bloß Verbrechen auf, sondern folgen den Spuren zur Wahrheit und Gerechtigkeit, wo andere längst in Lüge, Legende oder Gleichgültigkeit versunken sind. Sie begegnen Zweifeln, Widersprüchen, Versuchungen – die auch mal zum Lachen sind. Ihre Welt ist nicht durch die Macht der Magie veränderbar – sondern durch Dialog, Zweifel und Humor. Gerade letzterer dient nicht nur der Unterhaltung, sondern bringt Erkenntnis, wenn man sich darauf einlässt.
Magie ist in Klings Welt kein Effektgewitter und kein Kampfgetümmel mit Zauberstäben und -schwertern. Statt eines Endkampfes zwischen Gut und Böse gibt es ein „Erkenntnisfinale“: Erlösung geschieht durch Verzicht und Einsicht.
Wie in seinen „Känguru-Chroniken“, die ihn bekannt machten, und der Anti-Utopie „QualityLand“ nutzt Kling hier Ironie, Sprachwitz und absurde Situationen, um gegen Vereinfachungen und Ideologien zu schreiben. Nun also ein neues Genre: Immer wieder hat Kling betont, dass ihn die Herausforderungen neuer Genres reizen. Im Spiel mit mehreren Gattungen verbindet er auch hier meisterhaft satirische Gesellschaftsanalyse mit der Leichtigkeit eines Jugendbuchs und den Spannungsbogen des Fantasy-Genres. Daneben zieht sich die Linie der hintergründigen Botschaften durch sein vielseitiges Werk.
Gleichzeitig ist „Das Drachenzepter“ der zweite Teil einer „Spurenfinder“-Serie. Schon ein ganzes Jahr zuvor musste Elos zusammen mit Ada und Naru einen mysteriösen Mord in ihrem Dorf aufklären. Das zwang ihn – damals noch als Spurenfinder im Singular, wie der Titel des ersten Buches ausdrücklich betont – zurück in den aktiven Dienst. Doch schon hier begleiten ihn die neugierigen Halbwüchsigen in eine zunehmend widerspenstige magische Welt.
In beiden Werken übertreffen Intuition, paradoxe Denkfiguren und absurde Wortspiele sowie das Zusammenspiel der Hauptfiguren die klassische „Zauberei“ als Machtinstrument. Wer überzeugt, bewegt mehr als jemand, der nur befiehlt. Durch freundliche Bitten bezwingt nicht nur Naru seinen störrischen Esel, bis beide zu unzertrennlichen Freunden werden. Auch der Schlüssel „Schdip“, der in beiden Büchern auftritt, kann Türen öffnen – aber nicht mechanisch, sondern auch ihm muss gut zugeredet werden.
Spirituelle Motive
Die beiden Spurenfinder-Romane sind natürlich keine religiösen Bücher, doch sie enthalten viele spirituelle und existenzielle Deutungselemente – gerade auf einer tieferen Ebene als der spannenden Handlung.
Da haben sie fast Gleichnis-Charakter: Elos von Bergen lebt zurückgezogen. Er kehrt widerwillig zu seiner Berufung, der Spurensuche zurück. Seine Zwillinge erscheinen fragend, unbeirrbar, direkt, aber auch beinahe kindlich rein. Ihre Perspektive stellt Herrschaftslogiken infrage.
Wahrheit erscheint nicht als Besitz, sondern als Weg für diejenigen, die den Mut haben, Fragen zu stellen. Erkenntnis erfordert Demut, Geduld und Offenheit. Magie funktioniert nicht mechanisch. Sie verlangt Vertrauen, Sprache, Beziehung. Das Übernatürliche ist nicht verfügbar, sondern begegnet dem Menschen, der bereit ist zu hören, zu zweifeln und zu hoffen. Wahrheitssuche wird als Prozess der Unsicherheit dargestellt. Es gibt keine einfachen Auflösungen – aber viele kluge Fragen: Woran lohnt es sich zu glauben?
Marc-Uwe Kling, Johanna, Luise, Elisabeth Kling: „Der Spurenfinder“ sowie „Die Spurenfinder und das Drachenzepter“; 336 + 368 Seiten, ISBN 978-3-5502-02681 + 978-3-5502-03077; Ullstein-Verlag 2023 + 2025, 19,99 + 21,99 Euro.