
Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Raimund Kirch, Mitglied im Herausgeberbeirat
St. Martin in der Mauer – allein der Name dieser Kirche in der Prager Neustadt hat mich schon immer fasziniert. Grauer Stein inmitten gediegener Bürgerhäuser, hohe Rundbogenfenster und eine verwinkelte Architektur, die von vielen Umbauten in der langen Geschichte zeugt. Einst als katholische Kirche erbaut, steht dieses Gotteshaus auch für die innerkirchliche Kämpfe und Reformbewegungen Tschechiens.
Hundert Jahre, bevor Martin Luther auf den Plan trat, legte sich in Prag der Prediger Jan Hus mit Kirche und Kaiser an. Er endete tragisch auf dem Scheiterhaufen in Konstanz. Die heutige Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder vereinigt in sich beide Reformbewegungen: die hussitische und die lutherische. Umso spannender, hier einen Gottesdienst mitzuerleben.
Jeden Sonntag, 10.30 Uhr, findet ein deutschsprachiger Gottesdienst der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder in St. Martin in der Mauer statt; der Name kommt daher, weil sich hier einst die Stadtmauer Alt- und Neustadt trennte. Im entkernten Inneren verweist das Altarbild, ein Kelch mit Buch, auf eine Grundforderung der Reformation, den Laienkelch. Anrührend, wenn man von Helfern und Helferinnen ein deutsches Kirchengesangbuch überreicht erhält.
Wir, eine Studiengruppe des Evangelischen Bildungswerkes Bad Alexandersbad, die wir uns auf Spurensuche der Kirche in der Diaspora befanden, fühlten uns eingeladen und aufgenommen. An diesem Fastensonntag predigt Pfarrerin Maliskova Pilecka.
Ihre Vita ist typisch und untypisch zugleich in einem säkularen Staat. Getauft in einer katholischen Kirche setzte sich ihr künftiger Glaubensweg in der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder fort. So studierte und promovierte sie in evangelischer Theologie. Und wir lernen, dass eine Kirche, die sich der säkularen Welt stellen muss, vieles möglich ist.
Unsere Studiengruppe, war jedenfalls angetan und hoffnungsvoll. Die Kirche in der Diaspora, die wir kennenlernten, ist kreativ, vital und überzeugend. Die wenigen Hauptamtlichen müssen sich auf Ehrenamtliche stützen, ohne die die Gemeinden nichts wären. Wir traten die Heimreise an mit dem guten Gefühl, dass trotz aller kirchlichen Schrumpfprozesse noch nicht aller Tage Abend ist. In diesem Sinne noch eine gewinnbringende Restfastenzeit.