Heraustreten aus „ideellen Fertighäusern“ – Teil 2

Kirchentag diskutierte über das Engagement von Kirche und gab geistliche Impulse – Teil 2: Politprominenz und Dialoge

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Kirchentag diskutierte über das Engagement von Kirche und gab geistliche Impulse – Teil 2: Politprominenz und Dialoge

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Natürlich waren die Veranstaltungen mit bekannten Politikern und Politikerinnen besonders begehrt – und schnell überfüllt. Und natürlich war viel „Politprominenz“ vor Ort, die ihre menschliche und christliche Seite zeigten: Am Donnerstag, 1. Mai, hielt Altkanzlerin Angela Merkel eine Bibelarbeit, die von rund 5.000 Menschen bejubelt wurde. Sie forderte mehr Anstrengungen zum Schutz des Planeten und blickte dabei selbstkritisch auf ihre Amtszeit zurück. Für sie sei die Frage nach wie vor offen, „ob wir Menschen willens und in der Lage sind“, im Sinne der Vorsorge entsprechend den Warnungen und Einschätzungen von Experten zu handeln. 

Sie gab aber auch konkrete politische Hinweise: So warnte sie davor, die Entwicklungshilfe zu kürzen. Wenn illegale Migration reduziert werden solle, müssten die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpft werden. Entwicklungszusammenarbeit sollte der Überzeugung folgen, „dass es uns am besten geht, wenn möglichst viele andere Menschen auf der Welt auch gut leben“.

Gleichzeitig riet sie ihrer evangelischen Kirche zu gezielten Angeboten für Nichtmitglieder ohne größere Hürden. Viele betrachteten die Kirche heute als einen Ort, an dem man vielleicht nicht willkommen ist, wenn man sich seines Glaubens noch nicht sicher sei, sagte Merkel. Sie gab zu, dass ihr Glaube ihr während ihrer Kanzlerschaft geholfen habe. „Ein Stück Gottvertrauen“ könne dazu beitragen, in schwierigen Situationen Lösungen zu finden.

Auch der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich vergleichsweise offen. Gleichzeitig wehrte er sich gegen Kritik an seiner Amtsführung: „Ich denke schon, dass ich überwiegend das Richtige getan habe und dass das auch rauskommen wird“, sagte er auf einem Hauptpodium des Kirchentages. 

Dort wurde der 66-jährige SPD-Politiker von Hunderten Kirchentagsbesuchern mit stehendem Applaus empfangen und verabschiedet. Bisher gehe es ihm „ziemlich gut“ mit Blick auf das Ende seiner Kanzlerschaft. „Wir müssen untereinander Respekt entwickeln für unterschiedliche berufliche Lebenswege und Lebensentscheidungen über die Frage, wie man sein Glück finden will“, sagte Scholz. Er warnte zugleich vor einer verbreiteten Schwarzmalerei. Obwohl er selbst keiner Kirche angehöre, schätze er den Beitrag der Kirchen für den Zusammenhalt der Gesellschaft sehr.

Christenmenschen verträten Werte wie Solidarität und Nächstenliebe, die 2.000 Jahre alt seien, sagte die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), auf dem Kirchentag. „Christentum ist eine öffentliche Angelegenheit“. Wenn man Kirche in eine bestimmte politische Ecke dränge, ärgere sie das. Das Grundverständnis einer Solidargemeinschaft gehe in der Gesellschaft verloren, so Fehrs. So sei es auch für die Kirchen schwer, die Mitgliederzahlen stabil zu halten.

Aus Sicht der Synodenpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, ist die Bibel eine Richtschnur, die im Kommunikationszeitalter Orientierung geben kann. Medienbildung sei wichtig, für die Beurteilung von Schlagzeilen und Beiträgen in den sozialen Medien könne die Bibel aber „ein richtig guter Kompass“ sein, sagte Heinrich. Sie riet: Wenn bei Social-Media-Beiträgen ein „Störgefühl“ entstehe, sollten Christen fragen, ob der Inhalt mit der Botschaft Gottes vereinbar sei.

Engagement und Dialog

Über unterschiedliche Wege zum Frieden hingegen gab es engagierte Diskussionen. Mit Bezug auf das Kriegsende vor 80 Jahren hoffte die frühere EKD-Ratspräsidentin Margot Käßmann, „Jesus habe eine ‚Kontrastgesellschaft‘ zu einer kriegerischen Welt entworfen.“ Sie respektiere, dass andere eine abweichende Position hätten, sagte Käßmann: „Aber ich bin Pazifistin und erwarte, dass es dafür auch Respekt gibt und ich nicht als Lumpenpazifistin bezeichnet werde.“ Sie engagierte sich in einer „unabhängigen Friedenssynode“ parallel zum Kirchentag. 

Der Präsident der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, wünscht sich mehr Mut, auch gegen Widerstände zu Überzeugungen zu stehen. „Mutig sein heißt nicht immer, dass für einen persönlich alles gut wird. “ Nachdem er vor rund einem Jahr ein Interview „zur Verhältnisbestimmung von Diakonie und AfD“ gab, habe dies einen „Shitstorm“ ausgelöst mit „zehntausenden Hassmails und Morddrohungen“. In dem Interview hatte er für überzeugte AfD-Anhänger eine Mitarbeit in der Diakonie ausgeschlossen. Entscheidend sei für ihn der Gedanke, dass alle Menschen, die in diakonischen Einrichtungen leben und arbeiten, sich „sicher und bedingungslos angenommen fühlen müssen“. Wer eine Partei unterstütze, die Abneigung gegen Menschen schüre, müsse „sich zumindest fragen lassen, wie er das mit unseren Werten zusammenbringt“, so Schuch. Das würde er immer wiederholen.

Sein Gesprächspartner, der griechisch-orthodoxe Bischof Emmanuel von Christoupolis stammt selbst aus einer Migrantenfamilie. „In jedem Herzen muss ein Platz sein für den Anderen“, forderte er.

Mitten in das Kirchentagsgeschehen hinein platzte am Freitag, 2. Mai, die Nachricht, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ einstufe. Altbundespräsident Christian Wulff nannte das Erstarken der AfD den „Ernstfall für Deutschland“. Diese gehöre „zu Wasser, zu Lande, zu Luft bekämpft“. Oder mit Worten der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt: „Haltet Kontakt, sprecht über Streuselkuchenrezepte oder was weiß ich und lasst dabei Eure Brandmauer stehen.“

Christen hätten zwar die Aufgabe, Brücken zu bauen, ergänzte Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages dazu auf dem Kirchentag. Bei Rechtsextremen sei dies aber schwierig. Mit deren Wählern müsse das Gespräch hingegen gesucht werden. „Wir sollten uns um jeden Einzelnen und jede Einzelne bemühen und sie wieder auf den richtigen Pfad der Demokratie, der Menschenliebe und des gegenseitigen Respekts zurückführen. Ich finde, das lohnt sich.“

Insgesamt also viele Positionen, die zum weiteren Nachdenken bis zum nächsten Kirchentag anregen. Da brachten politische und kirchliche Prominente viele Positionen auf den Punkt. Daneben gab es aber auch viele wertvolle Begegnungen zu anderen Christenmenschen. Viel Persönliches wäre da genauso darzustellen. Oder wie Margot
Käßmann gegenüber dem christlichen Bedeutungsverlust zuversichtlich blieb: „Die Kirche müssen wir nicht retten. Die rettet schon Gott alleine.“ 

„Endlich denkst du: Ganz allein bist du doch nicht“ fasste Eckart von Hirschhausen dies Gefühl vor 3.500 Zuhörenden bei einer Bibelarbeit ironisch. Vor Ort wäre ein Weiterwirken dieses Samens wichtig. Natürlich sind Blicke über den Horizont, ernsthafte Dialoge, viele Begegnungen das Gegenteil des Versinkens in sich selbst – also politisch. Da weht der Atem Gottes.