Annehmen, was mir gegeben ist

Annehmen, was mir gegeben ist: Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger

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Inge Wollschläger im Editorial für das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger

In einem kleinen Video habe ich einen Ausdruck gehört, den ich nicht kannte. Es war der lateinische Ausdruck Amor Fati – die „Liebe zum Schicksal“. Und weil ich ein wissbegieriger Mensch bin, wollte ich mehr wissen. Diese Bezeichnung aus der stoischen Philosophie wurde Jahrhunderte später von Friedrich Nietzsche aufgegriffen. „Meine Formel für Größe am Menschen ist Amor fati: dass man nichts anderes will, nicht vorwärts, nicht rückwärts, nicht in alle Ewigkeit. Nicht nur das Erträgliche, noch weniger das Unerlässliche, sondern gerade das Notwendige lieben.“ 

Damit meint er die innere Zustimmung zu allem, was geschieht. Wenn wir Freude am Leben haben, wenn es uns gut geht an Körper, Geist und Seele dann erscheint es leicht – dieses „Ja“ zu allem, was gerade ist. Doch was passiert, wenn nichts mehr glatt läuft? Wenn wir krank werden, Streit haben und uns so ganz und gar nicht mehr wohlfühlen?  

Amor Fati beginnt dort, wo wir aufhören zu fragen: „Warum ich?“ – und stattdessen fragen: „Warum nicht ich“ oder auch sagen „Gerade ich.“ Wer sein Schicksal als „gegeben“ erkennt, lebt nicht mehr im Modus des Anspruchs, sondern im Raum des Empfangens. Die Frage lautet nicht mehr: „Was steht mir zu?“, sondern: „Was ist mir anvertraut?“ Zwischen diesen beiden Fragen liegt ein Abgrund – oder eine Brücke. Die Brücke heißt Annahme.

Amor Fati in christlicher Lesart ist keine resignierte Ergebung. Es ist ein Akt des Wandels: Ich liebe, was mir gegeben ist, weil ich glaube, dass es nicht sinnlos ist. Ich nehme mein Leben an – nicht, weil es leicht ist, sondern weil es mir zugewiesen wurde von einem, der größer ist als ich. Diese Haltung ist zutiefst biblisch. Denken wir an Hiob, der, nachdem ihm alles genommen wurde, sagen kann: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, gepriesen sei der Name des Herrn.“ (Hiob 1,21) Was, wenn jedes Leid, jede Prüfung, nicht bloßer Zufall, sondern ein Ruf an mich ist? Diese Sichtweise löst das Schicksal aus seiner Beliebigkeit. Sie lässt auch das Dunkle nicht als bloßen Fehler erscheinen, sondern als Teil eines größeren Bildes, das mir (noch) verborgen ist. 

Wer liebt, was ihm „gegeben“ wurde, liebt auch die Wege Gottes – selbst wenn sie unverständlich bleiben. Für mich ist das ein tröstlicher Gedanke.