Wenn sich selbst Jesus unbarmherzig zeigt …

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zu Jesu Härte gegenüber seiner Familie

Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.

Markus 3,31–35

Ist das nicht hart? Da kommt Jesu Familie zu ihm – und er weist sie brüsk zurück. „Draußen“ müssen sie bleiben. Anstatt Mutter und Brüder hereinzubitten, erklärt er die Menschen in dem Kreis um ihn herum zu seiner eigentlichen Familie. Fast klingt es, als verspottete er die Seinen. Warum nur diese Schroffheit?

Ein Blick zurück macht die Situation verständlicher: Zehn Verse zuvor sind die Gründe gerannt: Mutter und Brüder „wollen ihn festhalten, denn sie sprachen: Er ist von Sinnen“ (Markus 3,21). Sie wollen Jesus schon so kurz nach dem Beginn seines unkonventionellen Wirkens wieder in ihre geordnete kleine Welt zurückbringen. Ja, konnte seine Mutter denn nicht nach der wunderbaren Verkündigung durch Gabriel und der Niederkunft im Stall ahnen, dass ihr Sohn etwas Besonderes ist? 

Halt! Im Markusevangelium findet sich nichts von Krippe und Königen, von Engeln oder Hirten. Jesu Wirken beginnt bei diesem wohl zeitlich ersten Evangelisten mit der Berufung und der Taufe durch Johannes. Nachdem dieser eingekerkert wurde, scharrt Jesus seine Jünger um sich. Trotz dieser Gefahr findet er Menschen, die sich mit ihm auf den Weg machen und die uns (im Gegensatz zu den Brüdern) namentlich genannt werden. Es folgen viele Heilungen. 

Zunächst scheint Jesus nicht auf die Suche seiner Familie zu reagieren. Doch Markus berichtet nun, dass er genau das tut, was den Vorwurf seiner Familie untermauern könnte: Er treibt unreine Geister aus und meditiert über Vergebung (aber ein Nachdenken über diese Verse bräuchte viel Raum, wenn man ihnen gerecht werden würde).

Dann lässt Jesus seine Familie noch nicht einmal an sich herantreten, sondern sucht und findet Unterstützung gegen ihr Begehren in dem geschlossenen „Kreis“ um sich. 

Jesu radikale Antwort an seine leiblichen Verwandten ist kein Spott, sondern ein Hinweis: Wer Gottes Willen tut, gehört dazu. Dazu gehört das Vertrauen, sich auf einen Weg einzulassen, dessen Ziel nur Gott kennt.

Und da öffnet sich der Bezug zum Lied „Vertraut den neuen Wegen“: Das hat nichts Romantisches. Es ist ein Wagnis. Es verlangt, alte Bindungen und Sicherheiten zu verlassen. Das Land der Verheißung kann weit und hell sein, aber selbst offene Tore dorthin durchaus schmal und beängstigend – fast wie bei einer Geburt. Jesus selbst zeigt, dass Nachfolge auch Verzicht bedeutet. Dazu gehört, sich mit ihm auf einen ungewissen Weg zu begeben.

Es ist leicht gesagt, dass Gottes neue Gemeinschaft alle engen Grenzen sprengen will. Jesu Aufbruch ist auch unbequem und herausfordernd: Schon die Liedzeilen „der will uns dahin leiten,/wo er uns will und braucht“ klingen nicht nur verheißungsvoll, sondern auch nach Selbstaufgabe. Hoffnung ist nicht nur pastellfarben. Wie gewinnt sie klare Konturen?

Susanne Borée, Chefredakteurin des Ev. Sonntagsblattes und Religionspädagogin

Lied EG 395: Vertraut den neuen Wegen

Susanne Borée
Chefredakteurin: Blattplanung, Online-Redakteurin, Redaktionelle Schwerpunkte: Reportagen, Kultur, Lebensfragen