Mit Gott auch mal über die Stränge schlagen

131
Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zum Genießen und Verzicht

Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit. Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

Prediger 7,15–18 

Die Schlemmereien an Weihnachten waren mal wieder lecker: Glühwein, Punsch, Lebkuchen, Braten. An Silvester gings dann gleich weiter mit dem Über-die-Stränge-Schlagen: Sekt-Sause, Käse-Fondue, Raclette, noch ein Verdauungs-
Schnäppschen hinterher. Alles mit Maß und Ziel? Nichts da! 

Also mussten im Januar die guten Neujahrsvorsätze her: ab ins Fitnessstudio, mehr Sport, weniger Pfunde, mehr Gemüse, weniger Fleisch, mehr Spazieren an der frischen Luft, weniger Feierabendbierchen, mehr „gutes Leben“, und generell weniger „schlechte Angewohnheiten“. Schön wärs, wenn es alles immer so klappen würde, was wir uns da so vornehmen, stimmts? Das rechte Maß an Vitaminen und Mineralien, die perfekte Ration an Nährstoffen. Immer schön ausgewogen auch in zwischenmenschlichen Kontakten: nicht immer Ja-Sagerin sein, aber immer Nein-Sagen geht auch nicht, mehr Zeit für mich und gleichzeitig auch für die Familie. Was für ein Stress! 

Und jetzt ist Schluss damit! Der Prediger sagt uns: „Stopp! Hör auf damit, damit du dich nicht zugrunde richtest!“ – jedenfalls verstehe ich ihn so. Es ist zwar schön und gut und wichtig, so manche Ziele und Pläne mit aller Kraft in die Tat umsetzen zu wollen, aber geb acht, dass du dich dabei nicht selbst verlierst in all deinen Selbstoptimierungs-Vorsätzen. Dann nämlich rutscht dein Fokus von dem weg, was wirklich zählt im Leben – und das ist eben nicht unbedingt die ideale Verteilung der Nährstoffe auf meinem Teller oder die beste Kommunikationsstrategie aus dem neuesten Ratgeber. 

Klar, der Prediger bezieht seine Worte auf die Themen Gerechtigkeit und Frömmigkeit, nicht auf unseren heutigen Selbstoptimierungs-Lifestyle. Aber trotzdem sehe ich da viele Parallelen. Der Prediger sagt: „Halte dich an das Eine, lass es nicht los. Schau auf Gott.“ Gott kennt dich. Sieht dich. 

Ob es nun darum geht, dass ich als gerecht gelte vor mir selbst und vor den anderen, oder als fromm, oder ob es darum geht, dass ich all meine Vorsätze auch wirklich alle brav in die Tat umsetze. 

Gott nimmt dich an, wie du eben bist. Auch mit so manchem scheinbaren Makel, so mancher Unzulänglichkeit, mit meinen Zweifeln und Zukunftsängsten, meiner gelegentlichen Maßlosigkeit und Unkontrolliertheit. Und: Gott selbst ist derjenige, der ja auch gerne mal über die Stränge schlägt. Gott liebt ohne Maß und Ziel. Liebt dich und mich und alle. Mit Gott an meiner Seite kann auch ich es wagen, meine ach so tollen Vorsätze mal grade sein zu lassen. Und ganz ehrlich: spätestens im April sind die eh vergessen und es ist Zeit, neue Wege zu finden, um weiterhin gut durch dieses Jahr zu kommen. Der beste Weg ist jedenfalls immer mit Gott an unserer Seite.

Stephanie Mages

Ab 1. März Pfarrerin an der Christuskirche in Neuhausen-Nymphenburg sowie seit 2023 landeskirchliche Beauftragte für Kirche und Sport.