Die Wahrnehmung schulen für kleine Zeichen

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Inge Wollschläger im Editorial für das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial von Inge Wollschläger im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über Frühlingsgefühle

Kennen Sie das Gedicht von Eduard Mörike „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern …“? Bestimmt haben sie das auch mal auswendig gelernt. In der Schule vielleicht? Und dann an manchen Frühlingstagen daran gedacht, wenn der Duft nach Frühling in der Luft liegt. Wenn man draußen ist und tief durchatmet. Wenn man weiß: Jetzt kommt er, der Frühling. 

Ich finde, das ist ein Gefühl wie nach Hause zu kommen. Für mich als Frau mitten im Leben ist das wie eine kleine Pause, ein Augenblick zum Verschnaufen, bei allem, was zu tun ist. Vielleicht ist es bei ihnen ähnlich. 

Es gibt und gab ja auch immer so viel zu tun: Der Beruf, die Kinder, der Haushalt: Jede Menge Arbeit ist da, die auf einen wartet.  Und an manchen Tagen werden Sie sich gefragt haben. „Wie schaffe ich das bloß?“ 

Aber dann, wenn der Frühling kam, hat es vielleicht solche Momente gegeben, wo sie einfach nur die Nase in den Wind gesteckt haben und den Duft in sich aufgenommen. Den Duft nach Frühling. Vielleicht sind ihre Gedanken dann in den Himmel geflogen, durch die klare Luft, weit über die Landschaft. Und vielleicht haben sie ihn dann gehört, diesen Hafen Ton, von dem Mörike dichtet.

Manchmal frage ich mich, wie werde ich dieses Gedicht im Alter hören. Wer de ich eher auf die kleinen Zeichen achten? Die Vogelstimmen, wenn ich sie dann hoffentlich noch gut hören kann? Werde ich die zarten Pflänzchen wahrnehmen, die sich dem Schnee entgegenstemmen. Wohin lässt das blaue Band dann meine Träume flattern?

Vielleicht werde ich dankbar sein für jeden Tag, an dem die Sonne mich für mich aufgeht. Vielleicht werde ich aber auch jeden Tag einfach auf den Abend warten und in der Nacht auf den Morgen. 

Ich wünsche mir, dass ich dann zurückkehren kann zu den Bildern aus meiner Kindheit. Dass ich darauf vertrauen kann, dass alles gut wird, weil das Leben wieder blüht. „Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ So heißt es in der Bibel im Buch der Offenbarung (Offb 2,10).Ich hoffe, dass mich irgendwann mein letzter Frühling in eine gute Zukunft tragen wird, in der das Leben blüht und ich die Krone des Lebens empfangen werde. In diesem Vertrauen möchte ich gerne alt werden. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie sich auch dieses Vertrauen bewahren können.