Minderheiten bereichern kulturelles Mosaik

32
Der chaldäische Bischof Najeeb Michael am Tabernakel der Paulskirche in Mossul. Es zeigt oben, wie der Fisch Jonas wieder freilässt, zugleich ein Zeichen für die Auferstehung Christi (links). Emanuel Youkhana. Fotos: Gloël
Der chaldäische Bischof Najeeb Michael am Tabernakel der Paulskirche in Mossul. Es zeigt oben, wie der Fisch Jonas wieder freilässt, zugleich ein Zeichen für die Auferstehung Christi (links). Emanuel Youkhana. Fotos: Gloël

An diesem Sonntag Reminiszere denken Evangelische in diesem Jahr an die Christen im Irak

„Das Besondere an den Hilfsprogrammen ist, dass sie überkonfessionell und überreligiös sind“, berichtet Kirchenrat Hans-Martin Gloël dem Sonntagsblatt. Noch Ende Februar war er als Ökumene-Referent der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vor Ort bei einer Hilfskonferenz in der nordirakischen Stadt Dohuk. Wegen schwieriger Wetterbedingungen am Flughafen dort konnte er erst einen Tag später heimkehren als geplant.

Doch die Arbeit des Hilfswerks CAPNI (Christian Aid Program Northern Iraq) kann auch unter schwierigen Bedingungen Minderheiten vor Ort unterstützen und die „Hoffnung am Leben halten“. Vor allem die Christen, die im Nordirak geblieben sind oder wieder in ihre alte Heimat zurückkehren, erhalten Mikrokredite zwischen umgerechnet 2.500 und 10.000 Euro. 

Wenn die Rückzahlung im vereinbarten Rahmen geschieht, können die Menschen das letzte Viertel der Unterstützung behalten – diese Vergünstigung greift inzwischen in 95 Prozent aller Fälle. Seit 1993 unterstützt CAPNI damit den Bau von Häusern und Schulen, mobile Kliniken aber auch Möglichkeiten zur Existenzgründung. 

Uralte Schriften gerettet

2014 schien das christliche Leben im Norden des Irak ausgelöscht zu sein: Nachdem Truppen des Islamischen Staates (IS) damals die Millionenstadt Mossul eroberten, flohen die damals geschätzt 45.000 Christen in die Kurden-Gebiete oder gleich weiter nach Europa. 

Dieser Sonntag Reminiszere („Gedenket“) ist seit 15 Jahren in allen Evangelischen Kirchen Deutschland (EKD) ein Gebets- und Gedenktag für bedrängte Christen. Diesmal steht der Irak im Mittelpunkt. 

Der heutige chaldäische Erzbischof Najeeb Michael von Mossul rettete im Sommer 2014 noch als Priester Tausende von Schriftstücken der kirchlichen Archive in Mossul, darunter tausendjährige liturgische Handschriften. Weil er mit dem Auto den Checkpoint in die kurdischen Gebiete nicht passieren durfte, drückte er fliehenden Familien die Bücher und Schriften in die Hand, so berichtet es Gloël. Jenseits der Grenze erhielt er sie wieder. Schließlich digitalisiert er sie in Erbil, der Hauptstadt der Kurdengebiete. Sie helfen mit, die eigene Identität zu bewahren.

Auch der syrisch-orthodoxe Erzbischof Nicodemos Daoud Matti Sharaf rettete die sieben wertvollsten Handschriften seiner Kirche aus Mossul, während die Kämpfer des IS nur noch 300 Meter entfernt waren. 

Viele Muslims schmuggelten damals ihre christlichen Nachbarn oft verkleidet und in teils dramatischen Rettungsaktionen aus der Stadt. Nach der Niederlage des IS können sie inzwischen in Mossul wieder sicher leben. Doch viele haben fast all ihren Besitz verloren und ihre Häuser sind zerstört. Sie haben keine Mittel, diese zu renovieren oder neu zu bauen. Nur wenige Hundert Christen sind mittlerweile in ihre alte Heimat zurückgekehrt, so Najeeb Michael. 

Hilfe gegen Fluchtgründe

In vergleichbarer Form haben viele Christen das Land verlassen: 2003 waren unter den 40 Millionen Irakern rund 1,4 Millionen Christen mehrerer Konfessionen wie der Apostolischen Kirche des Ostens, die ihre Wurzeln bis zur Zeit der Apostel zurückverfolgt, den Assyrern oder Chaldäern. Heute leben noch höchstens rund 200.000 Christen im Land, schätzt Archimandrit Emanuel Youkhana, das Oberhaupt der Apostolischen Kirche. 

Er ist zugleich Direktor des Hilfsprogramms CAPNI, das auch Angehörigen weiterer Konfessionen und weiterer kleiner Religionen hilft. Schließlich litten neben der christlichen Minderheit auch Jesiden, Zoroastrier, Mandäer oder Baha’i unter dem Völkermord des IS. Alle diese Minderheiten tragen viel „zum reichen kulturellen und sozialen Mosaik des Landes bei“, so Youkhana.

Rund 15 evangelische und katholische Kirchen und Organisationen aus Nordeuropa – arbeiten bei CAPNI zusammen. Viele der Projekte wollen weitere Fluchtursachen im Nordirak bekämpfen und die Region wieder aufbauen, betont Hans-Martin Gloël. Sie setzen aber auch Zeichen für eine überreligiöse Zusammenarbeit. So betont etwa Bauingenieur Anas, der vor Ort den Wiederaufbau einer Kirche leitet, dass er Muslim ist. Schließlich liegt die „Wiege der Zivilisation“ dort, im ehemaligen Mesopotamien – dem „Land zwischen den beiden Flüssen“ Euphrat und Tigris. 

Die Hilfsprojekte koordinieren ihre Unterstützung bei einer jährlich stattfindenden Tagung, an der nun auch Gloël im Februar teilnahm. Doch das Hilfsprogramm hat zunehmend mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, berichtet er dem Sonntagsblatt. Um seine Projekte durchführen zu können, beschäftigt es 30 meist junge Menschen vor Ort. Sie haben bereits auf ein Fünftel ihrer bisherigen Gehälter verzichtet, um weiter helfen zu können. Das Interesse der Weltöffentlichkeit hat sich längst anderen Krisenherden zugewandt. Und auch die irakische Zentralregierung in Bagdad habe wenig Interesse daran, diese Landesteile „im Norden“ weiterzuentwickeln, berichtet Gloël. 

Die kurdischen Gebiete, die den Minderheiten einst Schutz boten, stehen selbst unter massiven Druck – gerade auch seit der Machtübernahme der neuen islamischen Regierung im benachbarten Syrien. Ganz aktuell sind nach dem Einfrieren der Mittel der U.S. Agentur für Internationale Entwicklung USAID viele Nichtregierungsorganisationen, mit denen auch CAPNI eng vernetzt ist, im Irak nicht mehr arbeitsfähig. Die Minderheiten bindet an ihre irakische Heimat „ihre tiefen Wurzeln hier, aber nicht die Situation, in der sie leben“, meint Emanuel Youkhana.

Trotz aller Schwierigkeiten konnte Gloël kürzlich eine Taufe in der Niniveh-Ebene beobachten. Die Familie des Täuflings lebt nun in Paris. Doch sie war eigens angereist, um ihr kleinstes Familienmitglied in ihrer alten Heimat in die christliche Kirche aufzunehmen.

Spendenkonto der bayerischen Landeskirche: Ev. Bank, DE57 5206 0410 0001 0101 07, GENODEF1EK1, Stichwort: Christen helfen im Irak. Die Spenden kommen direkt den Partnerorganisationen vor Ort zugute.

Mehr Infos: https://www.ekd.de/reminiszere-31408.htm