Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zum Hirtensonntag
Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
Johannes 10,11–16
„Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“. An diesen Satz aus einer Predigt vor vielen Jahren erinnere ich mich noch heute oft.
Natürlich hat nicht alles gut Gemeinte schlechte Folgen. Was wirklich gut ist, und was nur gut gemeint, aber ohne guten Ausgang, kann man erst in der Rückschau bewerten. Vielleicht geht es auch dem Mietling im Predigttext so: Er kommt mit guten Absichten und großen Ambitionen. Vielleicht hat er sich eingeredet, dass seine Ideen und Ziele genau das sind, was die Schafe brauchen. Aber schnell wird klar, dass das nicht stimmt und die Folgen sind schlimm, denn die Schafherde wird vom Wolf zerstreut. Der Grund dafür ist, dass der Mietling letztlich weder dem Hirten noch den Schafen dient, sondern nur sich selbst.
Manchmal bin ich auch so ein Mietling. Es ist ja erst einmal gar nicht schlecht, wenn man sich einbringen will, wenn man Ideen hat und Verantwortung übernehmen möchte. Ich muss mir aber immer wieder klar machen, was wirklich der „Herde“ dient, und was nur meine eignen Ambitionen sind. Am allermeisten muss ich mir aber bewusst werden, dass ich nicht der gute Hirte bin, auch wenn ich dazu angehalten bin, diesem Vorbild nachzueifern.
Zweimal sagt Jesus klar und deutlich: „Ich bin der gute Hirte“. Wenn ich die romantische Patina der gemütlichen Schafweide im Sonnenschein abwische, sehe ich wie sehr es in dem Text um Beziehungen geht. Das fängt schon damit an, dass sich so viele verschiedene Akteure im Text tummeln. Welche Beziehungen bauen die Herde auf und welche zerstören sie? Welche Beziehungen sind gut und wie bauen wir diese Beziehungen untereinander und zu Gott auf? Das geht einher mit der Erkenntnis, dass unsere Macht Grenzen hat. Wo wir sie missbrauchen und die mit ihr verbundene Verantwortung vergessen, handeln wir wie der Mietling in unserem eigenen Interesse und zerstören damit die Herde, auch wenn wir es vielleicht gut meinen.
Es ist der gute Hirte alleine, der gut gemeinte Beziehungen zu einem guten Ende führt. Bei all den gut gemeinten Versuchen, eine Beziehung mit Gott aufzubauen, schaffen wir das nur in Jesus. Bei all den gut gemeinten Versuchen, uns in all unserer Verschiedenheit zusammenzufinden und gemeinsam auf den Weg zu machen, schaffen wir das nur unter der Stimme Jesu, die uns eint.
Dr. Anna Krauß, Direktorin im Zentrum des Lutherischen Weltbundes Wittenberg
Gebet: Guter Gott, / Hilf uns, deine Stimme zu hören. / Führe uns zusammen, wo wir getrennt sind. / Hilf uns, deinen Ruf zu begreifen. / Führe uns zu unserer Berufung. / Hilf uns, dir zu folgen. / Führe uns zum ewigen Leben. Amen