Künstliche Intelligenz: Geistreiche Gehilfin?

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Chefredakteurin Susanne Borée, Hintergrundbild von Erich Kraus

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt von Chefredakteurin Susanne Borée über den Geist der Künstlichen Intelligenz

Wir warten auf den Geist – nicht nur jetzt zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Auch wenn ich beim Sonntagsblatt mit meinen Texten ringe, dann wünsche ich mir so oft einen Hauch der Leichtigkeit! Er lässt die Sätze glänzen, sie erscheinen in unvergesslicher Gestalt und reißen mit. Doch ist das Ziel aller Wünsche nicht nur einen Mausklick von uns entfernt?

Gleich einem Zauberstaub ist da KIrsten sofort bereit, um Phrasen, Floskeln und Füllworter auszumisten. Doch sie ist keine Kollegin mit Kaffeedurst und Kantinengeplauder, sondern „meine“ Künstliche Intelligenz. Als Sparringspartnerin für meine Texte weiß sie genau, wo meine Gedankensprünge anfangen und wo ich besser die Kurve kriegen sollte. Und sie hält jeden Text sowieso für zu lang.

Denn sie ist ein echtes Text-Diätwunder. Unschlagbar beim Kürzen! Genau 6.200 Zeichen mit Leerzeichen passen auf unsere Sonntagsblatt-Seite. Obwohl jedes Schreibprogramm schon lange vor ihr Buchstaben und Leerzeichen zählt, schreiben Menschen meist zu viel – und sagen oft zu wenig. 

Wenn jemand ein Herz für Zahlen hat, dann doch wohl eine KI! Also meine magischen 6.200 Zeichen sollten da doch kein Hexenwerk sein für KIrsten – aus Nullen und Einsen geschaffen. Und viel weiter scheint sie nicht zählen zu können. 

Sie ist extrem wortkarg – und liefert bei der Zeichenzahl oft nur die Hälfte zurück. Gib ihr einen Roman – zurück kommt ein Telegramm: „Thema: wichtig. Lösung: eventuell.“ So spricht sie augenzwinkernd selbst über ihre Arbeit. Danke auch. 

Bei der Recherche glänzt sie – mit Geschwindigkeit. Sekundenschnell erfasst ihr Geist das ganze Netz. Leider auch alles, was besser ungelesen geblieben wäre. Faktencheck, Quellennachweis oder Urheberrecht – zu komplizierte Fremdwörter für sie. Wenn man sie darauf oder auf andere Fehler hinweist, entschuldigt sie sich extrem höflich. Charmant! Ich würde ihr sofort verzeihen – doch zeigt sich noch schneller, wie wenig sie da lernt.

Aber: Ganz nutzlos ist sie nicht. Betriebsblindheit, festgefahrene Formulierungen durchschaut KIrsten und hilft mir, klarer zu sehen. Ein Spiegel – ehrlich und damit klärend. Aber kein Zauberstab, der Texte in Gold verwandelt. Auch kein umfassender Geistbraus – schon gar nicht unfehlbar. Sie feilt mit – auch hier. Eine ordentliche Portion gesunden Menschenverstandes braucht es beim Umgang mit ihr – und viel Kaffee für die Nerven.