Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger
Es saßen einmal meine Söhne bei mir auf dem Sofa. Der Sommerregen prasselte ans Fenster, wir hatten uns eine Tasse Tee gemacht und wir „daddelten“ auf unseren Handy herum. Es war sehr gemütlich. Die beiden spielten gemeinsam ein Computerspiel – jeder mit eigener Figur in einer eigenen Welt, die trotzdem irgendwie miteinander verbunden war. Eine Welt, von der ich wenig verstehe. Plötzlich fragte einer den anderen: „In welcher Welt bist du gerade?“ Gemeint war die digitale Spielwelt, in der sie sich virtuell bewegten.
Der Satz kam mir irgendwie bekannt vor. Zumindest hatte ich ihn schon mal gehört. Und weil ich ja das Handy schon in der Hand hatte, recherchierte ich – und landete bei Arthur Schopenhauer, deutscher Philosoph des 19. Jahrhunderts. „Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt“, schrieb er. Wie wahr – und wie aktuell. In derselben Familie, demselben Land, derselben Gegenwart erlebt jeder Mensch die Welt ein Stück anders – sogar an einem verregneten Sommernachmittag auf dem Sofa: Was den einen kaltlässt, brennt der anderen unter den Nägeln. Wo der eine Hoffnung sieht, spürt die andere Dunkelheit.
Unsere äußere Umgebung mag gleich sein – unsere innere Welt ist es selten.
Erst recht in einer Zeit, in der die große Welt aus den Fugen zu geraten scheint. Mit all den Kriegen, Krisen und Klimaängsten spüren viele, wie ihre ganz persönliche Welt ins Wanken gerät. Manchmal ist es nur ein Satz, ein Bild, das uns trifft. Oder eben eine Frage wie die meines Kindes.
Der christliche Glaube nimmt genau das ernst. Er redet nicht über „die Welt“ in abstrakten Kategorien. Sondern über Menschen – mit ihren Blickwinkeln, Verletzungen, Sehnsüchten. Jesus selbst ist keinem Menschen gleich begegnet. Er hat hingesehen, zugehört, sich eingelassen. Hat die Welt des Anderen ernst genommen. Und sie oft verwandelt – durch Nähe, Worte, Liebe.
Vielleicht ist das heute unser Auftrag: Die Welt der anderen nicht vorschnell zu deuten oder zu bewerten. Sondern erst einmal zu fragen: „In welcher Welt bist du gerade?“. Und dann – mit offenem Herzen – da zu bleiben. Mitzutragen. Brücken zu bauen.
Denn so verschieden unsere Welten auch sind – wir sind verbunden. Von Gott her und miteinander.