Pfade der Vergänglichkeit neu erforschen

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Anna Hielscher in ihrem Atelier. Foto: Borée
Anna Hielscher in ihrem Atelier. Foto: Borée

Lebenslinien in Gottes Hand: „Harmlose Kunst“ betont die Kostbarkeit des Endlichen

Ihre Kunst erblüht in den Farben des Herbstes – Brauntöne überwiegen. Schließlich gehören getrocknete Blätter zu den wichtigsten Elementen, aus denen Anna Hielscher schöpft – daneben aber auch welke Blüten oder Nussschalen. Wichtig ist der Nürnberger Künstlerin jedoch: Nichts darf den Bäumen oder Blumen gewaltsam entrissen werden. Also heißt es abzuwarten, bis die Natur ihre Schätze selbst schenkt.

Gerade in diesen Wochen wird Hielscher reich bedacht: Dann sammelt, presst und konserviert sie diese Kostbarkeiten, die zu ihren – und unseren – Füßen liegen, aber oft unterwegs übersehen werden. 

Sie schafft aus ihnen kleine Schmuckstücke in „Harmloser Kunst“: Dies ist ihr Markenzeichen und gleichzeitig der Name eines gemein­nützigen Vereins, um ihrem Schaffen Strukturen zu geben. Die nun 40-jährige Künstlerin treibt es seit 2019 um, die Ideen ihres Konzepts weiter auszubauen. Sie versteht „harmlos“ nicht etwa als ungefährlich oder arglos. Nein, es ist Kunst, die Verantwortung übernimmt – ökologisch, ästhetisch und gesellschaftlich. 

Damit macht Anna Hielscher sich in besonderer Weise auf den Weg, die Pfade der vergänglichen Schönheit neu zu betrachten. Durch diesen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen der Schöpfung wirft ihre „Harmlose Kunst“ Fragen auf – und ist damit keineswegs anspruchslos. 

Kunst ohne Spuren

Anna Hielscher will Kunst so gestalten, dass sie möglichst wenig ökologische Spuren hinterlässt: Alle Arbeiten entstehen aus natürlichen Materialien. Das heißt andererseits: Sie sind vergänglich. Wenn das fertige Werk dem Zahn der Zeit ausreichend ausgesetzt war, sollen sie wieder in den biologischen Kreislauf eingefügt werden – möglichst ohne schwer abbaubare Spuren zu hinterlassen. Von künstlich langer Erhaltung oder gar Restaurierung hält Anna Hielscher nichts.

Gerade filigrane Schöpfungen wie Mobiles aus perforierten Blattteilen sind da besonders empfindlich. Da stellen sich die herbstlichen Fragen nach Vergänglichkeit in neuer Intensität. Veränderung ist für Hielscher kein Mangel, sondern kostbar: „Das Laub verliert nicht seine Farbe“, betont sie, „es verändert sich.“ Nicht zufällig startet ihre Homepage mit dem Logo, auf den Strand gezeichnet – während die ersten Wellen es zu verwischen beginnen.

Wichtig ist der Künstlerin auch der intensive Austausch vor und beim Entstehen ihrer Werke. Da erschafft sie etwa Geburtstagsgeschenke, indem sie sich mit den Auftraggebern auf einen gemeinsamen Weg begibt: Was wollen sie dem Beschenkten mitgeben? Welche Bezüge zu seiner oder ihrer Person lassen sich finden? Sollen die Materialien etwa vom Lieblingsbaum stammen? Dann heißt es abzuwarten, bis sie die Natur sie frei gibt. Ansonsten hat sie etwa vom letzten Jahr „Material beschränkt vorrätig“. 

Selbst der bewusste Einsatz von Werkzeugen ist der Künstlerin wichtig: Neue Anschaffungen eigens zum Erstellen ihrer Kunst will sie möglichst vermeiden: Lineal oder Nadel, Schere oder Cutter reichen ihr aus. Auf Klebstoff verzichtet sie – er lässt das feine Laub beim Trocknen dann eher wellig und unansehnlich werden. 

Eher fixiert sie die filigranen Werke mit hauchdünnen Fäden – Haare. Doch auch diese reißt sie sich nicht etwa aus, sondern sammelt sie aus Kamm und Bürste. Dann seien die Erzeugnisse eines „CO2-Produzenten und eines CO2-Konsumenten“ wie in einem Kreislauf miteinander vereint. Und die Haare „sind Teil meiner Lebensgeschichte, meiner DNA“, erklärt sie. Kann es noch etwas Persönlicheres geben – auch wenn diese Lebensfäden etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen? 

Ihre Werke „überschneiden sich mit Konzeptkunst oder Performance“, fügt sie hinzu. An sich sollten sie nicht dokumentiert und fotografiert werden. Da seien aber durchaus „Kompromisse notwendig“ – gibt sie gerne zu. Auch auf ihrer Webseite zeigt sie Beispiele ihrer künstlerischen Werke. Diese läuft aber über einen Ökohoster, wie sie betont. Auf gedruckte Flyer oder Visitenkarten aber verzichtet sie. Nur in einem Zettelkasten hält sie für sich Ideen fest, die sich eindrücklich verwirklichen ließen oder noch verbesserungswürdig sind. Auch Werke von ihr in einer Ausstellung im Kulturbahnhof Ottensoos, die bis zum 7. Dezember sonntags 14 bis 17 Uhr zu sehen ist, würden am Ende wieder rituell entsorgt.

Denn Anna Hielscher ist es wichtig, dass ihre Werke in der Erinnerung, in den Herzen bleiben und nicht auf einer äußeren Festplatte abgelegt sind. Selbst bei Seminaren, die sie regelmäßig anbietet, schlägt sie den Teilnehmenden öfter Verzicht auf Fotos vor. Hielscher berichtet von einer Aktion, bei der sie mit den Teilnehmenden unterwegs war, um Materialien vom Waldboden aufzusammeln und auf einem Teller „als Leinwand“ anzuordnen. Nichts wurde fixiert oder aufgezeichnet – nur jedes Arrangement dem gesamten Kreis gezeigt. Die Materie wird dann wieder losgelassen. Spannend für die Künstlerin war, wie unterschiedlich die Teilnehmenden da
mit umgingen: den Teller schwungvoll ausschüttelten oder zögernd zu Boden neigten.

Denn ihre künstlerischen Ideen will Anna Hielscher eng auch im direkten Kontakt zu Interessierten weitertragen. Gerade im Sommer ist die Diplom-Sozialpädagogin damit viel unterwegs, sind doch dann Treffen draußen am angenehmsten. Oder sie bietet online Kurse für Familien oder Erwachsene an. 

Niemand muss hier besonders „künstlerisch“ geschickt sein: Hände falten, schneiden oder weben – und plötzlich öffnen sich neue Blicke auf die eigene Kreativität. Meist rund zwei Stunden lang wird experimentiert und gestaunt. Die Gruppen sind klein, höchstens acht Personen. Unterstützt werden einige ihrer Projekte durch die Stadt Nürnberg. 

In besonders reiner Form zeigt sich ihr Anliegen beim „Sandzeichnen“, das sie auch in Form eines Kurses angelegt hat: Aus den Bewegungen im Sand erwachsen Bilder – und Impulse zu Vertrauen und Kooperation. Und Vergänglichkeit in Reinkultur.

Als ausgebildete Pilgerbegleiterin bietet sie auch Entdeckungsreisen für Gruppen an, um über „fremden Müll“ nachzudenken. Was macht er mit einem – gerade an einem beschaulichen Plätzchen. Wegsehen? Ihn einsammeln – aber in welchem Umfang? Lohnt es sich, sich damit zu beschäftigen? Oder verbaut gerade dies den Blick auf die Schönheit der Landschaft? 

Solche Fragen können zum Ausgangspunkt einer Reise nach innen werden. Welche Entscheidungen treffe ich – und wie lassen sie sich in andere Lebenssituationen übertragen? Es geht ihr darum, wie sich unterwegs gleichzeitig Müll einsammeln und Ballast loswerden lässt. Auch das ist Lebens-Kunst. Eine schöpferische Tätigkeit, die „harmlos“ wirkt – und doch tief ins Leben hineinragt.

Mehr online https://harmlose-kunst.de