Rezept gegen das Hamsterrad der Hetze

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Chefredakteurin Susanne Borée, Hintergrundbild von Erich Kraus

Herbstliches Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt von Chefredakteurin Susanne Borée

Die Äpfel liegen vor mir auf dem Tisch, rund und still. Dabei tragen sie die Kraft der Jahreszeiten in sich: die hoffnungsvollen, leichten Frühlingsblüten und die Wärme des Sommers, die Erinnerung an den Tau des Morgens und die raue Rinde des Baums. Und den Glanz des Herbstes, den letzten Gruß der Sonne, bevor das Jahr sich schließt.  

Beim Schneiden steigt ein feiner Duft auf: süß und herb zugleich. Es riecht nach Kindheit und nach gedämpftem Licht. Die Früchte verlieren ihre Schale, doch ihr Wesen bleibt und zeigt sich nun unverhüllt. In der Mitte das Kernhaus, eine sternförmige Erinnerung daran, dass jedes Ende auch Anfang ist. 

Ich würfle die Äpfel, lege sie in den Topf, gebe den Gelierzucker dazu und probiere neue Aromen aus: nicht nur Zimt und Zitrone, sondern auch Ingwer und Koriander. Nach und nach verwandelt sich die Masse – sie blubbert und schäumt. Dann wird sie  golden, dickflüssig. Ich rühre gleichmäßig, damit nichts ansetzt. Marmelade braucht Zeit, und vielleicht ist das ihre eigentliche Gabe – sie lässt uns still werden.

Und das inmitten all der täglichen Hetze: So viel ist noch zu schaffen, bevor das Jahr sich in Ruhe neigen kann. Je schneller ich wirbele, umso mehr scheint sich anzuhäufen. Heute Abend nicht, denn das Einkochen gelingt dann am besten, wenn es sorgsam  geschieht.

Ich fülle die Gläser bis an den Rand. In ihnen ruht nun der Sommer, bewahrt für den Winter. Dann schraube ich sie fest zu und stelle sie umgedreht in einen Topf mit Wasser. Ich lasse es aufkochen, damit es die letzten Rest der Luft herauszieht. Die Deckel schmiegen sich eng an das Glas, der Inhalt wird haltbarer.

Kaum vorstellbar bei diesem friedlichen Düften, dass so viel Not und Gewalt in der Welt ist. Erst beim Lüften dringt wieder die Kälte ein.

Doch einige Äpfel bleiben übrig – sie sind kräftiger, zu schön, um gekocht zu werden. Ich höhle sie aus, fülle sie mit Nüssen, Rosinen, etwas Marzipan, ein Hauch Zimt. Wenn sie sich verwandelt haben, ist der Abend still geworden.  

Langsam tauche ich einen Löffel in sie hinein, die Wärme breitet sich aus, sinkt tiefer. Habe ich mich selbst verwandelt? Von Eile zu Ruhe, von Hunger zu Dankbarkeit. Die Marmelade und der Bratapfel zeigen dieselbe Wahrheit: Was alle Aromen in Wärme und in Ruhe aufnimmt, kann sich unvergleichbar entfalten.