Gott bleibt – mitten im Unbegreiflichen

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über Vergänglichkeit

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. Ach, dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir eine Frist setzen und dann an mich denken wolltest! Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen. 

Hiob 14,1–6.13.15–17

Mit unseren beiden Enkeltöchtern erleben wir, wie diese kleinen Bündel Mensch in ihr Leben hineinwachsen – wie eine aufblühende Blume. Die eine ist gerade ein Jahr jung geworden. Die andere wird es bald im neuen Jahr. Wir staunen über das Wunder des aufblühenden Lebens: im Liegen umdrehen, durchs Wohnzimmer krabbeln, hochziehen am Schrank, aus dem Glas trinken, sich den Kartoffelbrei mit den Händen ins Gesicht schmieren. Alles zum ersten Mal. Welch ein Geschenk! 

Geboren, um zu leben. Ich erlebe neu, wie wichtig es für mein Leben ist, immer auf Entdeckungsreise für das Schöne zu bleiben. Das Staunen nicht verlernen, im Herzen und im Verstand offen bleiben für das Wunderbare. 

Denn ich kenne natürlich auch die anderen Facetten unseres Lebens. Schrecken, Schmerzen und Elend. Dafür steht Hiob mit seiner Geschichte. Davon wissen wir angesichts mancher Hiobsbotschaften, die unser Leben erschüttern. Und daran denken wir am Volkstrauertag. Mit Schaudern schauen wir in die Abgründe menschlichen Zusammenlebens. Wenn sich Hass mit Bomben und Drohnen auslebt. An vielen Orten werden Kränze für die Opfer von Kriegen niedergelegt. 

Das Leben in dieser Welt hat viele Facetten. Wunderbare und abgründige. Doch es gibt ja nicht nur schwarz und weiß. Dazwischen gibt es eine Unmenge an Grautönen. Das macht unser Leben anspruchsvoll. Sorgsam gilt es zu überlegen, unseren Weg zu suchen, um ihn dann in Verantwortung vor Gott fest entschlossen zu gehen.

Hiob führt sein Leben in existentielle Zerreißproben. Er verflucht den Tag seiner Geburt. Dennoch verabschiedet er sich nicht von Gott. Als unschuldig Leidender kämpft er um seine Würde. Hiob leidet nicht still für sich. Klagen ist erlaubt. Ohne Filter unseren Schmerz, unsere Wut und unser Elend vor Gott bringen. Wir wissen: Gott, hält das aus. Er hält uns aus. Am Ende umhüllt Gott Hiob mit seinem Schutz. Gott ist bei uns, wenn wir nicht mehr weiterkönnen und ebenso, wenn uns das Lebensglück überwältigt. Welch ein Gott! 

Klaus Stiegler, Regionalbischof im Kirchenkreis Schwaben-Altbayern