
Editorial zum Kirchentag von Raimund Kirch, Mitglied im Herausgeberbeirat
Ja hammer den schon wieder Kirchentag? Zu seinem Motto „mutig, stark, beherzt“, dieser zündenden, hoffnungsheischenden Losung, die dem 1. Korintherbrief entliehen ist fällt mir zwangsläufig eine Geschichte von Sören Kierkegaard ein:
Ein Haufen schnatternder Gänse wohnt auf einem wunderbaren Hof. Sie veranstalten alle sieben Tage eine herrliche Parade. Das stattliche Federvieh wandert im Gänsemarsch zum Zaun, wo der beredeste Gänserich mit ergreifenden Worten schnatternd die Herrlichkeit der Gänse beschreibt. Immer wieder kommt er darauf zu sprechen, wie in Vorzeiten die Gänse kühn die Meere und Kontinente beflogen haben.
Er vergisst nicht, Gottes Schöpfermacht zu loben. Schließlich habe der den Gänsen ihre kräftigen Flügel und ihren unglaublichen Orientierungssinn gegeben, dank deren die Gänse die Erdkugel überflogen. Die Gänse sind tief beeindruckt.
Sie senken andächtig ihre Köpfe und drücken ihre Flügel fest an den wohlgenährten Körper, der noch nie den Boden verlassen hat. Sie watscheln auseinander, voll des Lobes für die gute Predigt und den beredten Gänserich. Aber das ist auch alles. Sie fliegen nicht, denn das Korn ist gut, und der Hof ist sicher.
Auf die Gegenwart bezogen wissen „wir Gänse“ zwar inzwischen, dass die Kornvorräte langsam zu Neige gehen. Dass kirchliche Immobilien verkauft werden müssen, sogar das ein oder andere lieb gewonnene Gotteshaus zur Disposition steht.
Doch anscheinend macht das nicht allen ein großes Kopfzerbrechen. Auf das Abenteuer, unsere Flügel zu gebrauchen, sind wir nicht programmiert. Umso mehr ist dem Kirchentag in Hannover zu wünschen, dass er den Gänsen, die meist noch immer zu fett sind, Flugstunden erteilt.
Und dass er wieder Zeitzeichen ist. Denn die Zeichen der Zeit zu erkennen, ist seine wichtigste Aufgabe. Damit aber nicht genug. Er muss die Finger in die Wunden der Gesellschaft legen. Was stets auch Sören Kierkegaard tat. Übrigens: Der Geburtstag des evangelisch-lutherischen Theologen, der auch als führender dänischer Philosoph gilt, fällt auf den 5. Mai. Am 11. November vor 170 Jahren ist er im Alter von 42 Jahren verstorben.