Jakob schaut die Himmelsleiter

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zur ersten Gottesbegegnung eines Betrügers

Und Jakob träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der Herr stand oben darauf und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden – und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe. Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! 

Aus 1. Mose 28,10–19a

Auf dem Rückweg nach einer anstrengenden Wanderung liege ich erschöpft auf der Bergwiese. Über mir spannt sich der prächtige weiß-blaue Sommerhimmel. Ich suche Formen in den Wolken. Und fliegt da nicht ein weißgewandeter Engel quer durch mein Blickfeld? „Seht ihr die Flügel da oben auch“, frage ich die Bergfreunde neben mir. Gemeinsam rätseln wir weiter, staunen und fühlen uns tief verbunden mit Himmel und Erde.

Der Soziologe Hartmut Rosa hat vor einigen Jahren seine vielbeachtete Theorie der „Resonanz“ vorgelegt. Sinnstiftende Erfahrungen sind, so Rosa, wenn Menschen in Begegnungen mitschwingen und so eine Verbundenheit spüren, die sie selbst wiederum weitertragen. Dieses „hörende Herz“, so schreibt er, ermöglicht das Gegenmodell zu Einsamkeit und Vertrauenskrise in unserer Gesellschaft. Immerhin zeigen aktuelle Studien, dass die Einsamkeit in Deutschland grassiert, befeuert durch die Corona-Jahre. 

Genau vor diesem Hintergrund lese ich noch einmal die biblischen Worte von Jakobs Traum. Ich höre eine Erzählung von verzweifelter Einsamkeit, die sich durch die Verbindung mit Gott in segensreiche Gemeinschaft verwandelt.

Den Erstgeburtssegen hatte Jakob seinem Bruder Esau hinterhältig gestohlen. Der war nun – zurecht – wütend und wollte sich rächen. Die Mutter Rebekka schickte Jakob weg, um noch Schlimmeres zu verhindern. Jetzt war Jakob also buchstäblich auf der Flucht, getrennt von seiner Familie und mutterseelenallein. Diese Nacht ist für Jakob wirklich hart. Nur mit einem Stein als Kopfkissen träumt er von den Engeln, die auf der Himmelsleiter auf und ab steigen. Er träumt sich sein Leben, wie es sein könnte, verbunden mit Gott und mit seinen Lieben. Dieser Traum hat Folgen: Jakob bekommt neuen Mut und Orientierung für sein Leben. Auch er wird mit Rahel und Lea eine Familie gründen und schließlich zu Esau zurückkehren und tatsächlich Versöhnung geschenkt bekommen. 

Die Engel aus dem himmlischen Traum stiften reale zwischenmenschliche Gemeinschaft. Ich finde, der jüdische Philosoph Martin Buber hatte recht: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“

Max von Egidy, Dekan in Uffenheim

Lied 075: Wo Menschen sich vergessen