Lebenslinien in Gottes Hand: Wie Bonhoeffer und Klepper ins Gespräch gekommen wären
Beide haben auf je unterschiedliche Weise versucht, der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft das christliche Zeugnis entgegenzusetzen. Aber noch etwas verbindet die beiden: „Sie haben jenseits ihres irdischen Lebens viele Menschen inspiriert, aufgerichtet und getröstet.“ So schreibt Heinrich Bedford-Strohm in seinem Geleitwort zu dem spannenden aktuellen Buch „Wenn ich dir begegnet wäre …“.
Im realen Leben haben sich Dietrich Bonhoeffer und Jochen Klepper, soviel wir wissen, nie getroffen. Doch viel verband die beiden Theologen miteinander: Beide sind geprägt von ihrer Epoche, der zunehmenden Einengung durch die Nazi-Herrschaft. Dazu standen beide im Widerstand – und doch gingen sie ganz unterschiedlich damit um. Es gibt aber sogar äußere Ähnlichkeiten zwischen ihnen: Beide sind in Breslau geboren – innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren. Ihr Weg führte sie nach Berlin. Beide starben mit 39 Jahren. So lässt sie der pensionierte Pfarrer Wolfgang Böllmann an einigen Wendepunkten ihres Lebens fiktiv aufeinandertreffen.
Oskar Hammelsbeck, ein Freund und Mitstreiter Bonhoeffers, wollte die beiden miteinander bekannt machen. Jochen Klepper ging jedoch in den Freitod, bevor dies Vorhaben umgesetzt werden konnte.
Dialoge aus realen Texten
Doch schon ganz zu Beginn des Dritten Reiches, am 1. Februar 1933, hätten sie sich treffen können: Damals hatte Jochen Klepper gerade begonnen, für den Rundfunk zu arbeiten als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, mit dieser Weg für ihn verbaut war. Gerade an diesem Tag hielt Dietrich Bonhoeffer eine seiner wenigen Radioansprachen. Er sprach kritisch über den „Führerbegriff“ und wurde bereits damals vorzeitig abgeschaltet. Böllmann lässt sie wirklich aufeinandertreffen – wenn auch nur kurz.
Doch sind ihre Dialoge keineswegs gänzlich der Fantasie entsprungen, sondern „verwurzelt in historisch belegbaren Gedanken und niedergeschriebenen Worten“.
Eine weitere Begegnung gestaltete Böllmann 1936, als Jochen Klepper eine der letzten Vorlesungen Bonhoeffers besuchte, die das Werk der „Nachfolge“ vorbereiteten.
Dann wieder kam Bonhoeffer nach der Komposition Böllmanns mit einigen Kandidaten aus Finkenwalde im Advent 1937 zu Besuch bei den Kleppers, als der Dichter den Roman „Der Vater“ über den Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. veröffentlich hatte – und Trost fand in seinen Gedichten. Sie sind ein tiefes Zeugnis seiner Frömmigkeit.
Jochen Klepper hielt zu seiner Familie trotz aller Gegenwinde. Denn er hatte Johanna Stein, eine jüdische Rechtsanwaltswitwe, geheiratet und ihre beiden Töchter aus erster Ehe aufgenommen. Obwohl sich seine Frau am 18. Dezember 1938 taufen ließ, wurde die Familie ausgegrenzt.
Immer mehr musste Jochen Klepper erfahren, „dass sich die im Glauben an Gott begründete Treue zu den Vätern, die er auch auf seine Obrigkeit bezog, gegen ihn wendete“, so Pfarrer Böllmann. Und weiter: „Selbst aber hat er die Treue zu den liebsten Menschen und zu seinem Herrn Jesus Christus auf seine Weise bewahrt, bis ans Ende.“
„Meine Enttäuschung über die Obrigkeit, deren politischen und geistlichen Einfluss ich eigentlich gar nicht trennen will, spornt mich in diesen Tagen an, die Verantwortung für die Meinen zu übernehmen.“ So lässt Böllmann Jochen Klepper in einem fiktiven Gespräch mit Bonhoeffer im Juni 1942 sagen. Und weiter erklärt er dem jüngeren Theologen: „Dennoch wächst bei mir gerade aus der Ohnmacht, die ich erleide, die Gewissheit, dass wir uns immer Christus in die Arme werfen können. Hier finde ich die Lösung aus meinem Glauben, der Sie zu ganz anderen Konsequenzen führt.“
Dietrich Bonhoeffer engagierte sich schon früh gegen „die Aberkennung der Mitgliederschaft Getaufter aus rassischen Gründen“ – also, dass neue Christen jüdischer Herkunft aus den Gemeinden ausgeschlossen werden sollten. Das Unrechtsregime bestärkte ihn darin, im theologisch reflektierten Widerstand aktiv zu werden. Gerade aus dem Alten Testament hatte Bonhoeffer gelernt, dass es dort eine gottgegebene Obrigkeit nicht gab, sondern viele Erfahrungen mit Herrschern, die gegen Gott handeln und deshalb seinen Zorn Gottes auf sich ziehen.
Die Dialoge der beiden Theologen müssen nicht unbedingt einhellig enden. „Für Klepper schien damit das Gespräch beendet zu sein, während in Bonhoeffer die Gedanken weiterarbeiteten“, schreibt Wolfgang Böllmann zu dem Treffen 1942. „Immer mehr Wahrheit entdeckte er in Kleppers Ansicht, wenn er darüber nachdachte. Es galt, eine Entscheidung zu treffen. Das hatten offenbar beide getan. Der Frage der Schuld wollte er nicht ausweichen, aber das Urteil würde Gott sprechen.“
So beendet Wolfgang Böllmann diesen fiktiven Dialog. Beide akzeptieren, dass ihre Haltungen unterschiedlich sind. Dennoch hören sie sich zu – und lassen dies gegenseitig stehen: „Bonhoeffer blickte ihn nach diesen Worten, mit denen er seine ganze Betroffenheit bezeugt hatte, liebevoll an. ‚Lassen Sie uns einen Augenblick schweigen‘, schlug er vor.“
Nur Kleppers ältere Stieftochter Brigitte schaffte es noch kurz vor Kriegsausbruch 1939 nach England. Kleppers Anstrengungen, seiner Frau und der Stieftochter Renate die Ausreise nach Schweden zu ermöglichen, schlugen jedoch 1942 fehl. Er ging mit ihnen in den Freitod. Und Böllmann lässt Bonhoeffer von diesem Suizid erfahren – und für Klepper Fürbitte halten.
In seinem Buch geht es Wolfgang Böllmann nicht nur darum, zur 80. Wiederkehr der Ermordung Bonhoeffers einen Akzent zu setzen. Nein, sein Vorhaben reicht tiefer: „Zugleich ist das eine lange Zeit, in der Wohlstand, oberflächliche Sorglosigkeit und ständig fortschreitende Säkularisation nicht nur die hier nachgezeichneten Abgründe vergessen machen, sondern plötzlich vielerorts anscheinend neue Sympathie dafür aufkeimen lässt.“ So schreibt er es in seinem Nachwort. Eine detaillierte „Konkordanz“ zu den beiden zeigt Überschneidungen ihrer Lebenswege.
Und weiter beschwört Böllmann am Ende „Denn es darf nach allem Geschehenen für uns nicht mehr darum gehen, beliebig zu agieren und zu reagieren. Vielmehr dürfen wir, wie von Glaubenden vor uns erprobt, unsere eigenen Entscheidungen aus der Kraft des gleichen Glaubens treffen. Wir brauchen diese selbst dann nicht für wertlos zu halten, wenn sie sich den üblichen Maßstäben von Erfolg entziehen.“
Wolfgang Böllmann: „Wenn ich dir begegnet wäre …“: Dietrich Bonhoeffer und Jochen Klepper im Gespräch. ISBN 978-3-374-07618-5 18 Euro, 160 Seiten, Evangelische Verlagsanstalt 2024.