Frauenleben „aus dem Schatten geholt“

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Feierlich übergaben die Engagierten des „Arbeitskreises Frauenkirchengeschichte“ nun dem Landeskirchlichen Archiv 42 Zeitzeuginnen-Interviews. Von links: Auguste Zeiß-Hörbach, Barbara Dietzfelbinger, Sigrid Schneider-Grube, dahinter Dr. Andrea König als Referentin des „forums frauen“ der Nürnberger „wirkstatt“, Dorothea Friedrich, Helga Täger, Dorothee Tröger sowie Kirchenarchivdirektorin Dr. Alexandra Lutz. Foto: Borée
Feierlich übergaben die Engagierten des „Arbeitskreises Frauenkirchengeschichte“ nun dem Landeskirchlichen Archiv 42 Zeitzeuginnen-Interviews. Von links: Auguste Zeiß-Hörbach, Barbara Dietzfelbinger, Sigrid Schneider-Grube, dahinter Dr. Andrea König als Referentin des „forums frauen“ der Nürnberger „wirkstatt“, Dorothea Friedrich, Helga Täger, Dorothee Tröger sowie Kirchenarchivdirektorin Dr. Alexandra Lutz. Foto: Borée

42 Interviews mit Frauen, die für die Landeskirche bedeutsam waren, nun im Archiv

Es fallen fremdartige Vokabeln wie „Bräutekurse“ oder „Veto-Paragraph“. Noch vor kurzem waren sie jeder bayerischen Pfarrfrau ein Begriff. Sie hatten bis Mitte der 1970er Jahre ihre Arbeit aufzugeben, wenn sie einen Pfarrer heirateten. Schließlich sollten sie dessen Arbeit ehrenamtlich mittragen und sich ganz in den Dienst der Gemeinde stellen. Viele mussten sich bereits erworbene Pensionsansprüche auszahlen lassen – obwohl ihr Ehemann vielleicht nur Vikar war. Das hinterließ Spuren, auch noch in den Interviews des „Arbeitskreises Frauenkirchengeschichte in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern“ (ELKB). Diese erhielt nun das Landeskirchliche Archiv der ELKB als Schenkung.

Und was war mit den Frauen von leitenden Geistlichen? Erst Hiltrud von Loewenich setzte es nach der Wahl ihres Ehemannes zum Landesbischof 1994 durch, dass sie trotzdem ihre halbe Stelle bei der Pfarrfrauenarbeit behielt. Der „Veto-Paragraph“ gegenüber Frauen bei der Pfarrstellenbesetzung fiel erst Anfang 1998.

Die „Bräutekurse“ waren für die angehenden Pfarrfrauen angesetzt, um sie in ihre zukünftigen Aufgaben einzuführen. Ein Höhepunkt war der Erinnerung nach ein Festessen – nicht etwa zur Feier der „Bräute“, sondern um ihnen ein Beispiel für angemessene Kommunikation auch mit höhergestellten Personen im feierlichen Rahmen zu geben.

„Es darf nie wieder geschehen, dass Bayern Schlusslicht ist“ bei der Förderung von Frauen. So soll es Johannes Hanselmann, bis 1994 Landesbischof in Bayern, nach den Erinnerungen der engagierten Frauen gefordert haben. Während überall in den 1980er Jahren ein frischer Wind Frauen aufbrechen ließ, war davon in dieser Zeit im kirchlichen Leben Bayerns nur wenig zu spüren.

Frauen eine Stimme geben

Um viele Erinnerungen zu bewahren, engagiert sich seit 1996 der „Arbeitskreis Frauenkirchengeschichte in der ELKB“. Seit einem guten Jahrzehnt haben die Mitglieder 42 standardisierte Interviews mit Zeitzeuginnen geführt. Es soll „ihnen eine Stimme zu geben“, ihr Leben, Denken, Handeln und ihre Selbstwahrnehmung ans Licht zu bringen. Das Kirchenarchiv sichert diese wertvollen Tondokumente künftig in einem digitalen Langzeitarchiv, damit diese auch von zukünftigen Forscherinnen und Forschern noch genutzt werden können, so Kirchenarchivdirektorin Alexandra Lutz.

Die Interviews wollen „Die Frauen aus dem Schatten herausholen“, wie es Sigrid Schneider-Grube formuliert. Sie gründete als eine der ersten landeskirchlichen Frauenbeauftragten in der ELKB den Arbeitskreis 1996. Auch nach ihrer Pensionierung im Jahr 2004 blieb sie ihm verbunden. Weitere führende Engagierte waren die Landessynodalin und Pfarrfrau Friedl Bär, Marianne Pflüger als eine der ersten ordinierten Pfarrerinnen und Barbara Dietzfelbinger aus der Pfarrfrauenarbeit.

Anlass zur Gründung des Frauenarbeitskreises war vor knapp 30 Jahren die Absicht, das „Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern“ zu überarbeiten. Selbst damals noch sollte die haupt- und ehrenamtliche Arbeit von Frauen nicht aufgeführt werden, erinnert sich Sigrid Schneider-Grube. 

Nachdem der Arbeitskreis dies ergänzt hatte, initiierte er auch die Wanderausstellung „fromm – politisch – unbequem“ vor fast zwei Jahrzehnten (über die unser Sonntagsblatt damals ausführlich berichtete). Dies geschah zusammen mit Andrea Thurnwald vom Kirchenmuseum Bad Windsheim, die unerwartet verstarb. 

Porträts und Wettbewerbe

Es entstanden rund 20 Porträts von Frauen, die noch im Kaiserreich geboren waren, aber wie Antonie Nopitsch das Frauenwerk Stein oder wie Christel Schmid die Communität Casteller Ring gründeten. Sie verwirklichten sich als „Bilderbuchpfarrfrau“ wie Magda Dietzfelbinger als Mutter des Landesbischofs Hermann Dietzfelbinger – und Kinderbuch-Autorin. Oder als Kirchenarchivarin wie Helene Burger, obwohl sie Theologin war. 

Der Arbeitskreis Frauenkirchengeschichte führte auch Geschichtswettbewerbe unter den Namen Argulas von Grumbach durch. Damit brachten sie auch eine fast unbekannte Frau der Reformation neu ins bayerische Bewusstsein. Als Vorsitzende der Jury ließ sich Ex-Staatsministerin Hildegard Hamm-Brücher gewinnen. 

Es gab weitere historische und regionale Projekte. Die nun Interviewten sind eine Generation jünger als die Porträtierten der Wanderausstellung. Sie sind zwischen 1923 und 1949 geboren. Unter ihnen sind viele Theologinnen sowie Psychologinnen und Juristinnen, Lehrerinnen und Erzieherinnen. Sie engagierten sich in der Diakonie, gemeindliche Frauenarbeit, Kirchenmusik und Spiritualität oder als Kirchenvorsteherinnen und Synodalinnen. Interviewt wurden auch die kürzlich verstorbene Theologin und Oberkirchenrätin Gudrun Diestel und Hiltrud von Loewenich, die Frau des Ex-Landesbischofs.

Der Schenkungsvertrag der 42 Interviews zieht zugleich einen Schlusspunkt unter den Arbeitskreis da ihre Mitglieder zwischen 76 und 90 Jahren zählen. Sie würden gerne den Stab an jüngere Frauen weitergeben, zumal es noch weitere Ideen für Interviews gäbe, so Dietzfelbinger. Zumindest aber bleiben diese Erinnerungen neben den bisherigen Publikationen. Bald sollen die Angaben über die Interviews auch im Internet zu finden sein. Denn das Archiv führt gerade eine Online-Datenbank ein, in der dann alle Interessierten selbständig recherchieren können. 

Zumindest der Wunsch des ehemaligen Landesbischofs Johannes Hanselmann scheint in Erfüllung gegangen: Heute gibt es ganz selbstverständlich Pfarrerinnen in Bayern, obwohl es für sie schwieriger ist, Familie oder Karriere unter einen Hut zu bringen. Dies zeigte noch einmal die Diskussion im vergangenen Jahr um mehr Frauen in leitenden Positionen. Barbara Dietzfelbinger beklagte zwar, dass der „Korpsgeist“ geblieben sei, aber zumindest ließ sich die Diskussion im Sinne der engagierten Frauen lösen.

Doch außerhalb der Kirchen stellen sich auch heute noch viele Frauen ihren eigenen Herausforderungen: Sie wehren sich etwa gegen ungerechte Bezahlung. Das betrifft inzwischen nicht mehr verbeamtete Pfarrerinnen oder andere Berufsgruppen mit festen Besoldungssätzen. Aber Tätigkeiten, die als „Frauen-Berufe“ gelten, sind oftmals immer noch schlechter bezahlt. Und wo Frauen in der freien Wirtschaft tätig sind, wird ihnen teils immer noch zur Einstellung ein deutlich schlechteres Gehalt als Männern angeboten – und sie lernen es erst allmählich geschickter zu verhandeln.