Rhythmen im Reigen der Gottesbegegnung

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Oluf Hartmann: Jakobs Ringen mit dem Engel (Detail), 1907. Bild: akg
Oluf Hartmann: Jakobs Ringen mit dem Engel (Detail), 1907. Bild: akg

Weitergehende Meditation über Huizings Aussagen zu aufstrebenden Lebensmelodien (4)

Ich brauche nur einen neuen beschwingten Rhythmus für mein Leben finden und alle Erstarrungen überwinden, dann kann ich teilhaben am Tanz der Auferstehung! So ließen sich zu Ostern die Gedanken des Würzburger Theologen Klaas Huizing zusammenfassen. Und dies geschieht schon inmitten des irdischen Lebens. Doch: Ist diese Leichtigkeit nicht ein wenig zu einfach?

Natürlich gibt es Menschen, die schmetterlingsgleich im Sommerwind von einer Blüte zur nächsten schweben und sich überall erquicken. Fällt ihnen dann nicht auch die Teilhabe am Auferstehungstanz Jesu einfacher zu als den „Mühseligen und Beladenen“? Denjenigen, die im Leben alle Aufgaben und Pflichten bestmöglich zu erfüllen versuchen. Sie ringen immer wieder mit ihren Lebenswegen und können sich an deren Kreuzungspunkten nur schwer entscheiden – während anderen so viel leichter Zufriedenheit und Selbstakzeptanz zuzufallen scheinen!

Sicherlich muss ein Herumwirbeln im Takt der Musik nicht nur Ausdruck von Leichtigkeit sein. Ein Tanz hat mehrere Traditionslinien. Ein konventioneller Paartanz sucht nach einem gemeinsamen Einschwingen inmitten festgelegter Schritte. Im Ausdruckstanz kann sich ein ernstes Ringen widerspiegeln.

Viele Stimmen im Chor

Ebenso sprechen in den biblischen Büchern viele Stimmen von ihren unterschiedlichen Wegen der Gotteserfahrung. Das sieht auch Huizing so. Für ihn gibt es zunächst als Hauptstränge die Sammlungen prophetischer und priesterlicher Traditionen. Dem Herrn der Herrlichkeit lässt sich in feierlichen Zeremonien, im Kultus und Tempeldienst Ehre erweisen. Die Propheten hingegen sind direkt von Gott beauftragt: Sie fordern ethisch gutes Handeln ein oder erheben ihre Stimme für die Ausgegrenzten. 

Die Weisheitsliteratur – für Huizing mehr als nur eine späte Form biblischer Schreibtraditionen – überformt als dritter Pol diese Linien neu. „Frau Weisheit“ tanzt durch die Texte. Sie bringt einen spielerischen, von ihm als weiblich empfundenen Zugang zu Bibeltexten ins Spiel: Gleichzeitig erscheint auch Jesus bei Huizing vor allem als Weisheitslehrer – weniger als neuer Prophet.

Wie Klaas Huizing auch bei seinem Vortrag im Rothenburger Wildbad ausführte, hat das priesterliche Modell besonders im Katholizismus seine Spuren hinterlassen, das prophetische unter den Protestanten.

Ringen als dunkler Tanz

Besonders viele Züge im Rahmen der alten prophetischen Tradition hat für Klaas Huizing der Theologe Karl Barth – seine „bildgewordene Gottesanschauung, der Kampf am Jabboq (Gen 32,23–32)“ zeige: „Theologie ist für Karl Barth hinkendes, aber eben gesegnetes Nachdenken des Ereignisses, von Gott angegangen zu werden. Als Theologin oder Theologe, so versteht Barth es, kann man nicht in der Zuschauerposition verharren, ringt mit diesem Gott, der sich als offenbarender Gott im Halbdunkel gleichzeitig entzieht.“ Es ist für Klaas Huizing durch das Bild des Kampfes auch „betont männlich geprägt“. Trotzdem fasziniert es mich besonders, obwohl ich eine Frau bin – oder bin ich zu sehr im traditionellen Denken gefangen?

Doch lässt sich nicht auch dies Ringen – in einem weiteren Sinn als Huizing es fasst – wie der Tanz als leibliche Ausdrucksform verstehen? Ist es nicht ebenso eine unmittelbare, um mit dem Göttlichen in Kontakt zu treten? Der Mensch antwortet darauf mit seinem ganzen Körper, der sich wehrt, der fragt, der klammert, auf Gott. Im Tanz wie im Ringen gibt es eine intime Nähe – die aber auch riskant ist. Jakob geht aus dem Kampf verwundet, aber auch gesegnet und mit neuem Namen – als neuer Mensch – heraus.

Jakobs Ringen erscheint wie ein dunkler Tanz mit Gott – in der Nacht, der Ungewissheit, aber in Bewegung hin zum Durchbruch der Wahrheit – zwischen Zweifel und Segen, zwischen Halten und Loslassen. Eine Identität fällt – ein neuer Name kommt. Lässt sich Gott manchmal tanzend – oder ringend – finden? 

Tanz kann auch entgleisen 

Da lohnt auch unabhängig von Klaas Huizing ein Blick auf die Bibel. Sie spricht unterschiedlich vom „Tanz“ oder „tanzen“, obwohl sich diese Begriffe nur rund ein Dutzend Mal dort finden. Manche Stellen sind gar doppelbödig: Nach Davids Tanz vor der Bundeslade (2. Samuel 6,14), nur mit einem leinenen Priesterschurz bekleidet, verachtet ihn seine Frau Michal für den öffentlichen Ausdruck der Ekstase. Zur Strafe bleibt sie unfruchtbar – worum wird da gerungen? 

Beim „Tanz ums Goldene Kalb“ zeigt sich dadurch gerade Götzendienst und geistlicher Entgleisung. Im Neuen Testament fordert Salome, die Tochter der Herodias, den Kopf Johannes des Täufers, nachdem sie Herodes durch den Tanz betört hat (Markus 6,14ff und par). 

Nur an wenigen Stellen wie bei Jeremia 31,13 geschieht Tanz aus Freude daran, wie Gott eine neue Zukunft schafft: „Dann wird die Jungfrau fröhlich im Reigen tanzen (…). Ich will ihr Trauern in Freude verwandeln.“ Tanz wird hier zum Zeichen der Wende vom Tod zum Leben. 

Engerer Bezug zum Lied?

„Atmosphärische Qualitäten“ der Musik finden sich genauso beim Singen. Und die Bibel hat dazu einen viel größeren Bezug. Da finden sich über 150 Stellen für die Begriffe „Lied“, „singen“ und „Gesang“. Sie spiegeln mehrere Nuancen des Gotteslobs. 

Gerade in den Psalmen, bei den Propheten und in der Offenbarung antworten Lieder auf Gottes Taten, die Menschen als Wendepunkte erfahren haben – oft als „neues Lied“. Es erhebt sich aus den Tiefen der Seele – als Dank oder Verkündigung. 

Das „Singen“ betont die aktive Dimension des Lobpreises: Es kommt aus dem Herzen und findet sowohl im persönlichen Gebet als auch in der Gemeinschaft Raum. In Psalmen, den Briefen des Paulus und der Apostelgeschichte erscheint es als geistlich belebender Akt, der Glaube stärkt und Gemeinschaft stiftet.

Der Begriff „Gesang“ verweist stärker auf den kultischen und liturgischen Charakter des Lobes. Er ist Ausdruck heiliger Freude – oft bei Festen oder Gottesdiensten. In den Chronikbüchern, den Psalmen und in Exiltexten zeigt sich, wie sehr Gesang mit neuen Hoffnungen verknüpft ist.

Und dann darf auch der Tanz dazu kommen: „Mit Pauken im Reigen“ sang Miriam mit „allen Frauen“ nach dem Untergang der Ägypter im Schilfmeer (2. Mose 15,20f).

Insgesamt sind also Musik und Gesang in der Bibel wesentliche Bestandteile des Glaubenslebens. Kolosser 3,16 bringt es auf den Punkt: „Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.“

=> zum vorherigen Teil der Serie über den Auferstehungstanz

Huizing: Lebenslehre – Eine Theologie für das 21. Jahrhundert. 2022, ISBN 978-3-579-07467-2, 776 S., 38 Euro.