
Wie Kaiser Konstantin in Nizäa die Kirche in den Glanz der Krone führte
Er erschien „engelsgleich“ – so berichtet es Eusebius von Caesarea (260/64– um 339) über den römischen Kaiser Konstantin beim Konzil von Nizäa. Mehr noch: „Wie ein Gesandter Gottes“ sei der Herrscher in Nizäa aufgetreten. Als Bischof von Palästina nahm der Gelehrte am Konzil teil. Und als einer der bedeutendsten kirchlichen Autoren der Spätantike prägte er das Bild des Kaisers in seiner „Vita Constantini“ (Das Leben Konstantins) entscheidend mit: Dieser erscheint da fast wie ein Heiliger in übernatürlichem Licht.
Die Bischöfe und kirchlichen Entscheidungsträger, so Eusebius, zogen zu Beginn des Konzils durch das Spalier der kaiserlichen Leibgarde – und mussten überhaupt keine Furcht mehr vor deren gezückten Schwertern haben. Dabei hatte Eusebius die letzten Christenverfolgungen im Römischen Reich noch bewusst miterlebt. Welch ein Statuswechsel: Aus einer verfolgten Minderheit war eine anerkannte Glaubensgemeinschaft geworden. Direkt an das Konzil schloss Konstantin dann noch die Jubiläumsfeiern zu seinem Regierungsantritt 20 Jahre zuvor an.
Die Zukunft des Zepters
Konstantin hatte das Konzil im Jahr 325 selbst einberufen und finanziert. Er bezahlte die Reisekosten für alle anreisenden Kirchenvertreter und sorgte für Kost und Logis – äußerst großzügig. Sein Ziel war es, den theologischen Streit um die Lehre des Arius zu beenden und die religiöse Einheit im Römischen Reich zu sichern. Arius lehrte, Christus sei nicht wahrer Gott, sondern ein Geschöpf – also nicht wesensgleich mit dem Vater. Die Debatte spaltete Gemeinden, Bischofssitze, Regionen.
Um sein Reich vor weiteren innerem Zerfall (und vielleicht auch vor dem befürchteten Zorn Gottes über diese Zwietracht) zu bewahren, übernahm Konstantin eine Rolle, die bis dahin undenkbar gewesen war: Er trat offen als Schiedsrichter in theologischen Fragen auf – ohne überhaupt selbst getauft zu sein. Dies soll nach der Tradition erst auf seinem Sterbebett ein Dutzend Jährchen später geschehen sein. Dennoch bezeichnete er sich als „Bischof der Bischöfe“ – und stellte damit klar, dass es in seinem Reich keine von ihm unabhängige Kirchenhierarchie geben würde. Die wortgewaltige Darstellung des Bischofs Eusebius formte diesen Anspruch entscheidend mit.
Trotz des glänzenden Konzils gelang es Konstantin nicht, die Glaubenseinheit der Christen durchzusetzen. Nach der Verurteilung war die Lehre des Arius keineswegs aus der Welt. Dies Bekenntnis erschien gar prägnanter. Während viele weitere Konzilien in den folgenden Jahrzehnten in der Tradition Nizäas die Beziehungsfragen der Trinität genauer klärten, missionierten die Arianer nun erfolgreich gerade die germanischen Stämme – allen voran die Goten. Diese Völker schickten sich bald an, das Römische Reich zu erobern. Die Macht der letzten römischen Kaiser sank in den Staub.
Dass heute dennoch auch das westliche Abendland in der Tradition Nizäas steht, ist letztlich das Werk einer Frau: Die Frankenherrscherin Chlothilde brachte ihren Mann Chlodwig dazu, sich in der Tradition Nizäas taufen zu lassen – mit angeblich 3.000 Gefolgsleuten wie beim ersten Pfingstfest. Und dies mitten im Winter an einem Weihnachtsfest um das Jahr 496. Mehr noch: Die Bekehrung des Haudegens soll nach einem Sieg gegen seine Feinde mit Hilfe des Kreuzes geschehen sein – wie einst bei Konstantin. Das Frankenreich stellte die Weichen für die Zukunft in Westeuropa.
Von Nizäa nach Wittenberg
Selbst Martin Luther blickte zurück auf Konstantin – ebenfalls ganz im Sinne des Eusebius. Für ihn war der Kaiser ein beispielhafter Herrscher, der kirchliche Konflikte ordnen konnte. Für Martin Luther sowie für Philipp Melanchthon war Nizäa ein Vorbild: für ein Konzil, das ohne Papst dogmatische Wahrheiten vorbildlich festhielt. Denn der römische Bischof war in Nizäa nicht persönlich anwesend, sondern nur durch zwei Legaten vertreten. 325 kamen sowieso mehr Kirchenleiter aus den oströmischen Regionen zusammen als aus dem Westteil des Reiches.
Luther betonte die Frömmigkeit Konstantins. Er war für ihn das Idealbild eines Herrschers, der verantwortlich über kirchliche Belange entschied – und unvergleichliche Ordnung stiften konnte. Im Gegensatz zu Nizäa unter seiner weisen Führung hatten nach Ansicht der Reformatoren spätere Konzile unter päpstlichem Vorsitz oft geirrt: Ein Papstkonzil habe die Beschlüsse des anderen aufgehoben, es seien widersprüchliche Entscheidungen gefallen.
In den 1530er Jahren dachte Luther erneut ausführlich über die Autorität von Konzilen nach. Seine Position war klar: Eine solche kirchliche Zusammenkunft könne nur dann Geltung beanspruchen, wenn es die biblisch bezeugte Wahrheit des christlichen Glaubens verteidige – besonders zur Abwehr von Irrlehren. Dabei schätzte er die altkirchlichen Hauptkonzilien wie Nizäa und seine Nachfolger besonders.
Melanchthon ergänzte: In Glaubensfragen hätten die Päpste, die Konzilien und die ganze Kirche kein Recht, etwas zu verändern – es sei denn, es entspricht der Heiligen Schrift wie in Nizäa. Der dogmatische Kern des Nizäischen Bekenntnisses war für die Reformatoren unantastbar. Die Confessio Augustana sowie weitere lutherische Bekenntnisschriften beziehen sich ausdrücklich positiv darauf.
Vom Glanz geblendet
Selbst die Zahl der Konzilsteilnehmer wurde theologisch gedeutet. Es sind keine Anwesenheitslisten erhalten, doch müssen es um die 250 bis 300 Kirchenvertreter gewesen sein. Bald schon kursierte die Zahl 318 – als Anspielung auf Abrahams 318 Knechte, die er in den Kampf schickte, um Lot zu retten (1. Mose 14).
So wurde Nizäa auch zu einem symbolischen Rückgriff auf das Erbe Israels – und zugleich zur Abgrenzung vom Judentum. Der Ostertermin wurde vom Passahfest entkoppelt, Jesus klar als göttlich definiert.
Nizäa war ein Wendepunkt: Die Kirche trat aus dem Schatten der Verfolgung in das Licht der Macht. Der Kaiser war nun Schiedsrichter und Schutzherr der Kirche im göttlichen Auftrag. Auch die Reformatoren, die gegen kirchlichen Machtmissbrauch wetterten, konnte sich dem Glanz eines Herrschers als Gesandter des Himmels nicht entziehen. Das Jubiläum zeigt: Sicher gewinnt die Kirche Sicherheit, Ordnung und Glanz, wenn sie sich der Macht anvertraut – und was verliert sie dabei?
Jan-Heiner Tück & Uta Heil (Hg.): Nizäa – Das erste Konzil. Herder 2025, 480 S., ISBN 978-3-451-38391-5; 38 Euro.
Daraus besonders folgende Kapitel: Jennifer Wasmuth: Die Bedeutung des Konzils von Nizäa für die reformatorische Theologie. Hartmut Leppin: Das angeeignete Konzil. Roland Kany: Glanz und Elend dogmatischer Unschärfe. Matthias Morgenstern: Jüdische Reaktionen auf das Konzil von Nizäa.