„Du bist nicht vergessen!“

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Editorial Inge Wollschläger im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger über die Bedeutung der kleinen Zeichen

Neulich traf ich eine Bekannte. Wir hatten uns lange nicht gesehen. Es war eine dieser kleinen, zufälligen Begegnungen. Sie blieb mir im Herzen. Denn irgendwann sagte sie: „Kannst du dich erinnern, dass du mir vor ein paar Jahren Postkarten in die Reha geschickt hast? Jede Woche eine. Ich hab sie alle aufgehoben. Die haben mir so viel bedeutet.“

Ich war verblüfft. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern. Für mich war es eine kleine Geste gewesen, eine kurze Notiz auf einer Karte, schnell geschrieben zwischen Terminen. Für sie war es ein Lichtblick gewesen, Woche für Woche, ein Zeichen: Du bist nicht vergessen.

Ein paar Tage zuvor hatte ich im Internet einer Frau zugeschaut die einen Glückskeks öffnete und den eingebackenen Spruch vorlas: „Nimm deinen Einfluss auf die Welt ernst.“

Wir leben in einer Zeit, in der wir Bedeutung oft mit Lautstärke verwechseln. Was nicht sichtbar, viral oder öffentlich ist, scheint nichts zu zählen. Doch vielleicht ist das Gegenteil wahr: Dass das, was im Verborgenen geschieht – ein Wort, eine Karte, ein Gebet – mehr bewirkt, als wir je erfahren werden.Was, wenn unser kleiner Einfluss größer ist, als wir denken?

„Ihr seid das Licht der Welt“, sagt Jesus in der Bergpredigt. Und auch wenn wir dieses Licht oft als etwas Großes, Leuch­tendes begreifen – manchmal ist es einfach nur eine Karte, die im richtigen Moment ankommt. Jesus selbst hat keine
Bücher geschrieben, keine Titel getragen, keine Position be­kleidet. Und doch hat er die Welt verändert. Warum? Weil er jeden Menschen ernst ge­nommen hat. Weil er dem Ein­zelnen begegnet ist. Weil er seinen Einfluss ernst genommen hat.

Wir wissen oft nicht, welchen Einfluss wir auf das Leben anderer haben. Meist erfahren wir es gar nicht. Und doch sind da diese Momente, in denen uns ein Satz, ein Blick, ein Glückskeks daran erinnert: Du kannst die Welt verändern. Heute. Im Kleinen.

Vielleicht liegt in dieser Ungewissheit auch ein gewisser Trost. Wir müssen nicht alles wissen. Wir dürfen einfach tun, was gut und richtig ist. Und vertrauen, dass Gott daraus etwas Größeres macht.

„Nimm deinen Einfluss auf die Welt ernst“ – es könnte ein Glückskeks sein. Oder ein Auftrag von Gott.