Lebenslinien: Die englische Autorin Jane Austen erblickte vor 250 Jahren das Licht der Welt
Sie beobachtete genau, aber auch mit feiner Ironie. Jane Austen war keineswegs die naive Pfarrerstochter, die dann zur alten Jungfer vertrocknete. Einen Heiratsantrag hatte sie 1802 abgelehnt. Scharfsinnig beobachtete sie die menschliche Natur. Kaum vorstellbar, dass nun zu ihrem 250. Geburtstag, der am 16. Dezember so praktisch in die Weihnachtszeit fällt, überall verschnörkelte Erinnerungsstücke oder Kalender mit ihren sinnreichsten Sprüchen im Angebot sind.
Ein paar nette Worte in ihrem Nachruf ruinierten zunächst ihren Ruf. Jane Austens Lieblingsbruder Henry rühmte sie als Frau, die niemals „ein unüberlegtes, leichtfertiges oder strenges Wort“ sprach und deren Ansichten „genau der englischen Hochkirche entsprachen“.
Eine Langweilerin – höflich etikettiert und damit schnell unterschätzt. Doch dahinter verbarg sich eine Frau, die ihre Zeit mit einer Mischung aus Witz, Ironie und psychologischer Präzision durchleuchtete.
Jane Austen war in der Welt der „Gentry“ zuhause – des niederen Landadels und wohlhabenderen Bürgertum, das sein Geld in Landbesitz anlegte. In diesem engen Rahmen bewegten sich ihre Kontakte: Besuche, Spaziergänge, Gespräche, die sich um den einen magnetischen Punkt drehten – eine geeignete Heiratspartie zu finden.
Ihre Umgebung blieb statisch der althergebrachten Ordnung verhaftet – während nur wenige Meilen außerhalb dieses engen Horizontes die Auswirkungen der Französischen Revolution, die Napoleonischen Kriege und vor allem die schnelle Industrialisierung alles ins Wanken brachten.
Der Vater besaß jedoch als Landpfarrer eine große Bibliothek: Dies öffnete ihr jene Räume, die außerhalb der eigenen vier Wände für Mädchen verschlossen blieben. Dort lernte sie Vorbilder für ihre Romanfiguren kennen – und sich selbst. Mit zwölf begann sie zu schreiben. Sie brach nie aus dieser Welt aus, begriff aber, dass gerade diese Enge ein Labor ist, in dem sich menschliche Schwächen wie in einem Brennglas betrachten lassen. Jane Austen übersetzte die Rituale ihrer Umgebung in Literatur. Und sie schuf Figuren, die heute noch so lebendig wirken wie die Originale, die ihr gegenüber am Teetisch saßen.
Sie spiegelte in ihren Werken eitle und geschwätzige Bekannte, selbstgerechte Geistliche und gutmeinende, aber beschränkte Seelen. „Ich war so höflich, wie mir ihr Mundgeruch erlaubte“, notierte sie etwa – ein Satz, der ihr Verfahren besonders gut charakterisiert: Distanz, Beobachtung, ein Funkeln von Bosheit und am Ende doch ein Rest Sympathie.
Denn Austens Humor war nie zerstörerisch. Sie verachtete ihre Figuren nicht; sie erkannte sie. Ihre Romane sind bis heute so tröstlich, weil sie ein Menschenbild entwerfen, das Fehler zulässt, ohne sie schönzureden. Diese seltene Verbindung macht ihr Werk unverwechselbar.
Selbstfindung als Aufgabe
Dass ihre frühen Manuskripte erst Jahre später, anonym „by a lady“, veröffentlicht wurden, passt zu dieser feinfühligen Kraft. Austen dachte lange über die Entwicklung ihrer Heldinnen nach: Werke wie „Sense and Sensibility“ (auf deutsch: „Verstand und Gefühl“ oder alternativ „Sinn und Sinnlichkeit“, 1811 veröffentlicht), „Pride and Prejudice“ (auf deutsch: Stolz und Vorurteil, 1813) oder „Mansfield Park“ (1814) begründeten ihren Ruhm. Sie sind längst nicht nur schmachtende Liebesgeschichten, sondern Studien über Selbsttäuschung und die Kunst, den eigenen Blick zu schärfen. Die Heldinnen müssen sich erst selbst entdecken, bevor sie ihren Platz finden – also, einen Mann heiraten, den sie lieben, der ihnen aber zugleich angemessen ist.
In „Mansfield Park“ berührt Jane Austen sogar die verdrängten Wurzeln von Wohlstand: Ihre Heldin Fanny Price, still und unterschätzt, fragt nach dem Sklavenhandel, der die Familie reich machte. Das peinlich berührte Schweigen darauf ist eine unüberhörbare Antwort.
Und Austens heiteres Meisterstück „Emma“ (1815) lässt eine junge Frau lebendig werden, die sich als Ehestifterin in die Beziehungswelt ihrer ganzen Umgebung einmischt, jedoch tiefe Gefühle nicht von höflicher Konversation unterscheiden kann – und daran beinahe scheitert: Ein Spiel über Macht und gut gemeinte Verblendung.
Vielleicht am berührendsten ist Jane Austens spätes Werk „Persuasion“ (auf deutsch: „Überredung“ oder „Anne Elliot“, entstanden 1815–16): Es ist die Geschichte einer Liebe, die aus Pflicht geopfert wurde und doch zurückkehrt. Damit erkundet sie den Reifeprozess ihrer Heldin: Sie gewinnt Klarheit, Mut, und die Weigerung, das eigene Leben der Meinung anderer zu opfern.
Schließlich führt Austen „Northanger Abbey“ – nach ihrem Tod veröffentlicht – das Genre der damals beliebten Schauerromane ins Absurde. Die dortige Heldin Catherine Morland muss lernen, ihre lebendige Einbildung und spannende Spukgeschichten von der Wirklichkeit zu unterscheiden: Erst nachdem ihr dies gelingt, kann sie zum guten Schluss ihren Geliebten ehelichen.
Hinter dem Mythos
„Schreiben scheint mir unmöglich, wenn ich den Kopf voller Lammkeulen und Rhabarberkompott habe“, klagte Jane Austen. Doch sie führte ununterbrochen die Feder – zwischen Hausarbeit und Gesellschaftspflichten, am kleinen Tisch im Wohnzimmer, der rasch zur Seite geschoben wurde, wenn Besuch kam.
Nach dem Tod ihres Vaters 1805 unterstützte zunächst der Bruder Francis sie und die Mutter sowie ihre Schwester Cassandra. Diese blieb ebenfalls ledig, nachdem ihr Verlobter tragisch gestorben war. Die Schwestern schliefen Jahrzehnte lang in einem Zimmer. 1809 zogen die Frauen in ein kleines Landhaus. Bruder Edward, der Reichtum erlangt hatte, schuf ihnen damit ein Refugium. So fand Jane endlich Ruhe zum Schreiben. Ihre Veröffentlichungen, von Bruder Henry unterstützt, brachten erste Erfolge. Doch sie starb bereits am 18. Juli 1817, erst 41 Jahre alt – wohl infolge einer damals unheilbaren Unterfunktion der Nebennierenrinde.
Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet diese präzise Beobachterin lange als duldsame Pfarrerstochter, sanfte Gärtnerin und liebevolle Tante galt. Mit „einer Art von ernstem Lächeln“, wie sie es selbst beschrieb, entlarvte Austen die innere Leere ihrer feinen Umgebung: hohle Phrasen und Konventionen, Selbstsucht und Selbsttäuschung, Machtgier und den Mut, sich selbst treu zu bleiben. Wer Jane Austens Entwicklungsromane liest, erkennt: Ihre Welt mag längst vergangen sein, doch blickte sie tiefer auf bleibende Charakterzüge der menschlichen Natur.
Buchtipp zum Jubiläum unter anderem: Christian Grawe: „Darling Jane“. Eine Biographie. Reclam-Verlag 2025, 256 Seiten, ISBN 978-3-15-020758-1, 14 Euro.




























