Vertrauen auf gerechte Teilhabe stärken

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Pfarrer Graßmann und Jugendgottesdienst in der Gethsemane-Kirche. Fotos: Borée und Höfig
Pfarrer Graßmann und Jugendgottesdienst in der Gethsemane-Kirche. Fotos: Borée und Höfig

Tagung „Populismus, Extremismus und christlicher Glaube“ im Heiligenhof setzte Akzente – Teil I

Die Lebenswelt auch russlanddeutscher Jugendlicher zu akzeptieren, das sieht Tobias Graßmann als Gegenmittel gegen viele Aggressionen oder den Rückzug in getrennte Räume. Der promovierte Theologe ist Pfarrer in Würzburg-Heuchelhof mit einem hohen Anteil von Deutschen aus der Ex-Sowjetunion. 

Von seinen Erfahrungen in der Gethsemane-Gemeinde berichtete er bei der Wochenendtagung „Populismus, Extremismus und christlicher Glaube – wohin entwickeln sich Gesellschaften und Kirchen in Mittel- und Osteuropa?“ in der Bildungs- und Begegnungsstätte Heiligenhof bei Bad Kissingen. Ausgerichtet haben sie der Evangelische Freundeskreis Siebenbürgen e.V. und das Gustav-Adolf-Werk e.V. (wie das Sonntagsblatt angekündigt hatte). 

Nun liegt auch Würzburg-Heuchelhof nicht wirklich in Osteuropa. Doch stehen etwa russlanddeutsche Einwanderer gerade seit dem Beginn des Ukraine-Krieges in Verdacht, ob ihre Loyalitäten wirklich ihrer neuen Heimat gehören. So ging der Blick gerade in der ersten Hälfte der Tagung nach innen und blickte auf den deutschen Populismus.

Vor einer „mentalen Ausbürgerung“ warnte Tobias Graßmann vehement. Natürlich stellte er in seinem Vortrag eindrücklich „Sirenengesänge“ vor, mit denen sich gerade die russlanddeutschen Jugendlichen – ein Schwerpunkt seiner Arbeit – auseinanderzusetzen haben. Dies geschähe einerseits von populistisch-deutscher Seite, die sich an die Jugendlichen noch als „wahre Deutsche“ wende, während sich die Bundesrepublik selbst von ihren Wurzeln entfremdet habe. Und andererseits von russischer Seite, die zumindest um mentale Rückkehr gen Osten werbe. „Da gibt es natürlich eine Tür in eine andere sprachliche Welt.“ Da sind Vertrauenspersonen vor Ort besonders wichtig.

Oft empfinden sie sich selbst als zerrissen, etwa wenn Verwandte auf unterschiedlichen Seiten des Krieges kämpfen. Doch sieht Graßmann gerade die Ängste vieler Jugendlicher darin begründet, dass sie selbst trotz alle ihre Bemühungen von den „Deutschlanddeutschen“ nicht wirklich akzeptiert würden, auch wenn sie zumeist längst in Würzburg geboren sind. „Da reicht ein rollendes R, ein schweres L“ oder ein Vorname wie Eugen oder Lisa und alle Bemühungen um Integration seien gefährdet. 

Gefühl der Benachteiligung

Sein Kollege Harald Lamprecht sieht als Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der evangelisch-lutherischen Kirche Sachsens an sich einen großen Gegensatz zwischen dem christlichen Glauben und der „rassistischen Aufwertung einer eigenen Gruppe auf Kosten anderer“: Der Glauben an Gott als Schöpfer aller Menschen zu seinem Ebenbilde und die Botschaft Jesu kann damit nicht zusammengehen.

Allerdings erheben inzwischen populistische Gruppen den Anspruch das christliche Abendland zu verteidigen. Gerade die Krise des Wohlstandsversprechens, das möglichst vielen Menschen zugutekommen sollte, sieht er als Grundlage eines neuen Anstiegs solcher egoistischen Gruppierungen: Sie wollen nun kurzfristig einen möglichst großen Anteil an einem kleiner werdenden Kuchen, anstatt ihn nachhaltig zu verteilen. Denn dazu gehört sicherlich auch Vertrauen darauf, bei der Verteilung nicht ausgegrenzt zu werden. 

Gerade bei einer endzeitlichen Geschichtsdeutung geschieht weitere Polarisierung. Die Stimmung „Wir gegen andere“ kann da auf besonders fruchtbaren Boden fallen – ebenso wie die Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplizierte Problemlagen, der Rückzug in Parallelwelten oder ein bewusster Regelbruch gegen die Kompromisse demokratischer Vereinbarungen.

Und Gert Pickel, Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig konnte belegen, dass eine tiefe Religiosität gerade auch ein Wirkfaktor für populistische Einstellungen sei. Dies geschieht seiner Ansicht nach gerade dann, wenn religiöse Menschen den Anspruch erheben, eine besonders exklusive Kenntnis der Wahrheit zu besitzen oder ein konservativ geordnetes Weltbild bevorzugen. Daneben gibt es aber offene Formen der Religiosität, die die Ansprüche der Nächstenliebe hochhalten.

Lukas Meyer, aktuell theologischer Referent beim bayerischen Landesbischof Christian Kopp, stellte seine Promotion über „Die Auseinandersetzung mit Populismus im Spiegel kirchlicher Verlautbarungen in Europa“ vor. Gerade die Eurokrise nach 2008 und die Flüchtlingskrise um 2015 hatten in Europa zu einer Stärkung populistischer Bewegungen geführt. Besonders letztere „zeigte innerkirchliche Spannungen“: Gerade in den osteuropäischen Kirchen klangen im Einklang mit der jeweiligen Regierungspolitik „häufig nationalistische Töne an“. Meyer mahnte an, dass die Kirchen auch in Zukunft gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sollen. Dazu gehöre ihr Einsatz für Demokratie sowie ihre intensive Zusammenarbeit dafür.

Im praktischen Bezug vor Ort in Würzburg hält es Tobias Graßmann für besonders wichtig, auch den russlanddeutschen Jugendlichen Heimat zu schaffen und sie so zu akzeptieren, wie sie sind. „Wer sich als selbstwirksamer Teil einer Gemeinschaft erfährt, kompetent in den Strukturen unserer Gesellschaft bewegt und dabei vertrauensvolle Beziehungen erlebt, baut Resistenzkräfte auf. Dies zu ermöglichen, gibt dem Evangelium Raum und drängt andere Mächte zurück“, so sein Fazit.

=> Weitere Spurensuche der Populismus-Tagung in Polen und Rumänien sowie in Tschechien

=> Zum weiteren Bildungsprogramm im Heiligenhof