Kirchen als Ort für Begegnungen ausbauen

157
Die erste Ordination der Frauen zum Pfarramt 2022 in der polnischen evangelischen Kirche. Foto: Gofrejów-Tarnogórska
Die erste Ordination der Frauen zum Pfarramt 2022 in der polnischen evangelischen Kirche. Foto: Gofrejów-Tarnogórska

Tagung „Populismus, Extremismus und christlicher Glaube“ zu Polen und Rumänien – Teil II

Wahlen verändern die Gesellschaft. In Polen genauso wie in Rumänien. Darüber berichteten Gesandte aus den dortigen Evangelischen Minderheitenkirchen. Die Juristin Ewa Sliwka kam als Direktorin der Kirchenkanzlei der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen zu der Kissinger Tagung „Populismus und christlicher Glaube“. 

Sie erzählte dort von der Spaltung der Gesellschaft zwischen den „zwei führenden und auch gegensätzlichen Weltanschauungen, nämlich eine konservative und eine liberale“. Wie tief dieser Riss ist, zeigte sich besonders vor der Wahl im Herbst 2023: Im Vorfeld wurde darum äußerst emotional gerungen.

2020 stellte das polnische Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit „von fast 30 Jahre alten Gesetzen, die den Schwangerschaftsabbruch regelten“, fest. Zusammen mit der hohen Wahlbeteiligung von 74,38 Prozent (der höchsten bei den Parlamentswahlen seit 1989 – als die Wahlbeteiligung 62,7 Prozent betrug) war dies nach Ansicht Sliwkas eins der entscheidenden Elemente für Wahlausgang. 

In Deutschland lag dieser Wert bei den letzten beiden Wahlen bei gut 76 Prozent. 2009 erreichte die Wahlbeteiligung ihren Tiefpunkt von rund 71 Prozent. Vor der Wende von 1989 lag sie in der alten Bundesrepublik mindestens bei 83 Prozent – teils über 90 Prozent Anfang der 1970er Jahre. 

In Polen erhielt das oppositionelle Bündnis aus drei liberalen und progressiven Parteien 53,1 Prozent der Stimmen und 248 von 460 Mandaten. Damit konnte es die Regierung der PiS-Partei ablösen, die seit 2015 zunehmend autoritäre Züge entwickelte – mit zunehmender Einflussnahme auf die Justiz und die meisten Medien. Hinzu kamen eine stark nationale Politik sowie sehr konservative Einstellungen zu moralischen Fragen. Gleichzeitig hatten eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes und eine Absenkung des Rentenalters gerade den ärmeren und den ländlichen Bevölkerungsteilen sozial unterstützt.

Zur Wahl 2023 konnten gerade junge Menschen ab 18 Jahren mobilisiert werden. Allerdings stehen in diesem Mai Präsidentschaftswahlen an. Der Präsident, der deutlich höhere praktische Befugnisse in Polen hat als in Deutschland, steht der PiS nahe. Es sei schwierig, erneut eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen, so Sliwka: „Eine so breite Koalition erfordert Kompromisse, was sich wiederum in der Fähigkeit umsetzt, Wahlversprechen zu erfüllen“, meint sie. 

Und die Rolle der Kirchen dabei? Gerade junge Menschen und Städter würden sich eine stärkere Säkularisation in Polen wünschen. Von den mehr als 37 Millionen Polen bezeichneten sich bei Volkszählung gut 70 Prozent als Katholiken, 7 Prozent gehörten keiner Religion an, 20 Prozent verweigerten die Antwort auf die Frage nach der Religion. Rund 61.000 Menschen oder 0,16 Prozent der Einwohner gehören zur Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen.

Die Minderheitenkirchen dort mischen sich traditionell nicht in die Politik ein, „was für einen bestimmten Teil der Gesellschaft attraktiv ist und auch zu Übertritten führen kann“, so Sliwka. Gerade die evangelischen Kirchen in Polen seien „mit Stellungnahmen zu moralischen Fragen zurückhaltend und verweisen auf die individuelle Verantwortung der Betroffenen“. Seit 2022 gibt es die Frauenordination zum Pfarramt.

Erst seit wenigen Jahren ist Polen Einwanderungsland – zuvor verließen mehr Menschen die Republik als neue hinzukamen. Doch seit 2021 kommt es zunehmend zu illegalen Übertritten an der weißrussischen Grenze, die die Lukaschenko-Regierung im Bündnis mit Russland unterstützt. Nach dem russischen Überfall im Februar 2022 flüchtete eine Millionen Ukrainer nach Polen. „Hier ist die Haltung gegenüber den Flüchtlingen eine ganz andere. Die Diakonie der Evangelischen Kirche A. B. in Polen hilft an beiden Grenzen.“ 

Und wie können sich die Protestanten in Polen weiter positionieren? Sliwka hofft darauf, dass in Kirchen „möglicherweise Vertreter von verschiedenen polarisierten Gruppen zusammenkommen“. Das könnten Menschen helfen „aus der eigenen Blase herauszufinden, anderen zu begegnen und sie wieder als Mensch sehen. Dann „nimmt die Angst ab, es wächst Vertrauen, Zusammenarbeit wird möglich, Hoffnung kommt.“

Wahlchaos in Rumänien

Den Namen „Georgescu“ googelten unzählige Rumänen, so berichtet Roger Pârvu, der Studienleiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen, bei der Populismus-Tagung. Er war online zugeschaltet. Dies aber erst bezeichnenderweise nach dem ersten Durchgang für die Wahl zum Präsidenten, der dort eine starke Stellung hat. Am 24. November 2024 kam Calin Georgescu nach einer beispiellosen Aufholjagd auf den ersten Platz. So, als wenn sie sich erst nach der Wahl informieren wollten, wer das eigentlich ist, kommentierte Pârvu bei der Tagung.

Sicher war der Kandidat ein politischer Neuling. Zwischen ihm und der zweitplatzierten progressistisch eingestellten Elena Lasconi sollte es Ende 2024 zum entscheidenden zweiten Wahlgang kommen. Der Verfassungsgerichtshof Rumäniens ordnete jedoch kurzfristig eine Wiederholung der Wahl an, da sie aufgrund des „aggressiven russischen hybriden Angriffs von Außen, auch seitens fremder staatlicher Strukturen“ und
Einflussnahmen von Seiten der Online-Plattform TikTok verfälscht worden sei. Diese wiederum wies die Vorwürfe zurück.

Pârvu mahnte auf der Tagung die „politische Alternativlosigkeit“ in seiner Heimat an und legte dar, dass viele traditionelle Parteien wegen Korruption stark in der Kritik stehen. Der neue Politiker hatte dazu noch keine Gelegenheit. Die Bundeszentrale für politische Bildung hält Georgescus Haltung für sehr national, antiwestlich und prorussisch. 

Dieser reichte wegen der Wahlannullierung Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Auch Elena Lasconi kritisierte diese Entscheidung deutlich. Der sozialdemokratische Premier Marcel Ciolacu, der lange als Favorit bei der Präsidentschaftswahl gegolten hatte, nannte die Entscheidung „die einzige korrekte Lösung nach der Freigabe der Geheimdienstdokumente“. Diese sind nicht öffentlich. Im Mai soll die Wahl wiederholt werden.

Vor der Wahl in Deutschland geht das Gerücht um, dass die EU die Wahl in Rumänien annulliert hätte und dies auch in Deutschland tun könnte. Doch sie hat gar nicht die Kompetenz dafür und es auch nicht versucht. Die Demos in Rumänien richteten sich nicht gegen Europa, sondern gegen die Wahlannullierung vor Ort. 

Pârvu plädiert auf der Tagung dafür, den Selbstreinigungsprozess durch demokratische Abläufe eine Chance zu geben. Er mahnte in seiner Heimat politisch „einen längst überfälligen Neustart“ an und hofft, dass bei den Kirchen „eine Aufklärungsarbeit gestartet wird, die mancher Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen könnte“.

=> Spurensuche in Tschechien und in Deutschland

=> Zum weiteren Bildungsprogramm im Heiligenhof