Zusammenhalt im Glauben gegen den Hass

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Mitglieder der Roma-Gemeinden beim Gebet. Mikuláš Vymetal. Fotos: Vymetal/Borée
Mitglieder der Roma-Gemeinden beim Gebet. Mikuláš Vymetal.

Tagung „Populismus, Extremismus und Christentum“ setzte Akzente zu Tschechien – Teil III

Sie stellten sich vor die Kinder und gaben ihr Möglichstes, um sie abzulenken: Als 2011 „eine tausendköpfige Menge Hassparolen schreiender Mitbürger auf die Roma zumarschierte“ versuchten Pfarrer Mikuláš Vymetal und weitere Seelsorgende einzugreifen. So erinnert er sich gegenüber dem Sonntagsblatt. Vymetal ist Pfarrer bei der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder in Tschechien, einer Partnerkirche der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. In Deutschland waren diese Unruhen in unserer Nachbarschaft kaum wahrgenommen. 

Es gab jedoch in diesen Jahren noch weitere Ausschreitungen gegen Roma, die in Tschechien rund drei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Auch hier versuchten Geistliche mit Gottesdiensten Schutzräume zu bieten. Die Polizei griff scharf ein, erinnert sich Vymetal, „es gab auch zahlreiche Schwerverletzte“. Und weiter: „von da an habe ich angefangen, mit den Aktivisten, die schon länger auf der Seite der Roma standen, zusammenzuarbeiten“

„Ich fühlte mich so hilflos“, berichtet der Seelsorger weiter über sein Engagement gegenüber den Minderheiten und Ausgegrenzten – gerade für die Roma. Bei der Tagung „Populismus, Extremismus und christlicher Glaube“ im Heiligenhof bei Bad Kissingen stellte Vymetal, der selbst auch in Deutschland und Israel studierte, besonders die Erfolge des Engagements dar: „Die Mehrheit der Roma in unserem Land ist relativ gut integriert, arbeitet in schwierigen und schlecht bezahlten Berufen und leistet so einen Beitrag zur Gesellschaft“. Die Minderheit der sozial ausgegrenzten Roma ist jedoch oft stärker sichtbar. 

Insgesamt sind die rund 300.000 Roma – knapp drei Prozent der Bevölkerung – in Tschechien oft religiös geprägt. „In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Tschechischen Republik ein Netz von Roma-Gemeinden verschiedener Religionsgemeinschaften gebildet, die jedoch von den Kirchen der Mehrheitsgesellschaft oft übersehen werden oder Geringschätzung erfahren.“ Viele von ihnen gehören den christlichen Gemeinden vor Ort an, andere bilden eigenständige Gemeinschaften. Andere Roma leben ihren Glauben bis heute im Privaten, hat Mikuláš Vymetal beobachtet. Sie besuchen die Kirche nur noch zu Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. In Mähren blieben sie meist katholisch. In Böhmen gehören sie eher protestantischen und evangelikalen Kirchen an. So sind auch einige Roma in den Gemeinden der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder aktiv. 

Zusammenarbeit fördern

Gleichzeitig gibt es viele Beispiele für eine gelungene Zusammenarbeit wie etwa gemeinsame Gottesdienste. Eine vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Tschechien berufene Kommission setzt sich für deren Rechte ein. Sie empfiehlt gemeinsame Treffen oder Gottesdienste, an denen auch Prediger und Predigerinnen der Minderheiten beteiligt sein sollen.

Doch insgesamt gehört sowieso nur noch höchstens jeder fünfte Tscheche einer christlichen Kirche an. Zu den Böhmischen Brüder bekennen sich nur etwa 0,5 Prozent der Menschen in Tschechien, die etwa die Fläche Bayerns und 10,5 Millionen Einwohner hat. Die evangelische Diakonie in Tschechien ist nach Vymetal der zweitgrößte soziale Dienstleister in Tschechien. 

Der Glaube hilft den Roma, sich aus den Fesseln der Armut zu befreien. Teil des Gemeindelebens ist die Unterstützung ärmerer Mitglieder durch die Gemeindeleitungen sowie wohlhabendere Gemeindemitglieder – etwa, um diese zu den Gottesdiensten zu bringen, verschuldete Personen zu beraten. Eine große Hilfe für sie ist es, ihre Fähigkeiten im Umgang mit Geld zu stärken. 

Es gibt auch Soforthilfe in Form von Geld sowie Lebensmitteln durch Tafeln. „Soziale Hilfe ist dann eine echte Hilfe, wenn die Person, der geholfen wird, sich engagiert und einbringt. Es ist ratsam, diesen Dienst mit spezialisierten Sozialarbeitern zu koordinieren“, fordert Vymetal.

Heute sprechen wohl alle Roma im Land Tschechisch. Ihre ursprüngliche Muttersprache Romanes beherrschen die meisten nur noch teilweise. Viele Roma-Familien haben einen sozialen Aufstieg erlebt. Gleichzeitig erleben sie ein kulturelles Erwachen, etwa durch Lieder in ihrer Sprache und tschechische Erzählungen mit Roma-Themen. Um dies zu unterstützen, gibt es neue Übersetzungen des gesamten Neuen Testaments in der Sprache Romanes.

Vor 1945 waren fast alle Roma im Protektorat Böhmen und Mähren dem Völkermord zum Opfer gefallen. Die allermeisten Roma in Tschechien sind kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Slowakei zugewandert. Sie besiedelten oftmals Gebiete, aus denen Sudetendeutsche zuvor vertrieben worden waren. Im
faschistischen Slowakischen Staat hingegen gelang es der überwiegenden Mehrheit der Volksgruppe zu überleben. In der Slowakei leben aktuell rund 500.000 Roma – dort etwa zehn Prozent an der Gesamtbevölkerung. Die soziale Situation der Roma in der Slowakei sei prekärer als in Tschechien, meint Vymetal.

Nach den Unruhen von 2011und 2013 gegen die Roma gab es vier Jahre später auch Ausschreitungen gegenüber Muslime, obwohl nur geschätzt knapp 20.000 von ihnen in Tschechien leben sollen. Zumeist seien sie während der Kriege in Ex-Jugoslawien in den 1990-er Jahren aus Bosnien geflüchtet und dorthin nicht mehr zurückgekehrt.

Nur gegenüber den inzwischen rund 500.000 Geflüchteten aus der Ukraine gab es eine starke Willkommenskultur. „Besonders erschüttert hat die Aggression Russlands die tschechische Gesellschaft, wo die sowjetische Okkupation 1968 noch in lebendiger Erinnerung ist“, meint Vymetal. Auch in vielen Pfarrhäusern fanden die ukrainischen Menschen Aufnahme. 

Der Rassismus gegen Roma stellt in Tschechien nach Ansicht des Pfarrers die auffälligste Form des Hasses dar. Die „Internationalen Tage gegen Rassismus“ bieten die Möglichkeit ins Gespräch zu kommen und Rassismus zu verurteilen. Gleichzeitig können Angehörige der Minderheiten von ihren eigenen Erfahrungen mit Rassismus zu berichten. 

Solche Aktionen finden in der Regel in kirchlichen Räumlichkeiten statt – die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder und die Hussitische Kirche in Tschechien waren und sind offiziell daran beteiligt. Dazu kommt ein Literaturwettbewerb oder Kirchenkonzerte mit Roma-Musizierenden, gemeinsame Mahlzeiten, Diskussionen oder ähnliches. Die Kommission für Roma des Ökumenischen Rates der Kirchen empfiehlt: „Lassen Sie sich ermutigen, die Roma-Gemeinschaft zu besuchen. Bilden Sie sich erst dann Ihre eigene Meinung.“ Und dann fasst sie zusammen: „Das Zusammenfinden im Glauben kann eine große Bereicherung darstellen – gerade wegen der zahlreichen Unterschiede.“

=> Weitere Spurensuche der Tagung in Polen und Rumänien sowie in Deutschland

=> Zum weiteren Bildungsprogramm im Heiligenhof