Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über den „Thron der Gnade“ im Hebräerbrief
Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns voll Zuversicht hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit.
Hebräer 4,14–16
Ich werde ins Klinikum gerufen. Es ist mitten in der Nacht. Im Schockraum der Notaufnahme sitzen Familienmitglieder um das Bett eines 65-jährigen Mannes. Volodymir hieß er. Vor wenigen Minuten ist er gestorben. Die Tochter, die als einzige Deutsch sprechen kann, erzählt mir: Vor zwei Jahren sind sie von jetzt auf gleich aus der Ukraine geflohen, haben alles zurückgelassen. Hier angekommen kam dann die bittere Diagnose: Krebs. Bis vor wenigen Stunden war er noch mobil, hat gelacht und gekämpft. „Nun haben wir alles verloren. Auch die Zuversicht!“, sagt sie und fragt: „Wo bist du, Gott?!“
Das fragt nicht nur sie. Das fragen viele, wenn Gott weit weg scheint. Dann, wenn sich ein Graben vor den eigenen Füßen auftut und man sich verlassen fühlt.
Wir haben in Jesus einen „Hohepriester“, heißt es im Hebräerbrief. Der Hohepriester war der einzige, der direkten Zugang zu Gott hatte und einmal jährlich das Allerheiligste im Tempel betreten und Gott dort begegnen durfte. Eine unserer Konfirmandinnen hat dieses Bild, das mir heute total fremd scheint neu beschrieben: „Das meint: Jesus ist wie die Brücke über diesen Graben. Gott baut sie selber, damit er nicht fern ist.“
Letztes Jahr habe ich selber eine gute Freundin und Kollegin verloren. Keine 40 Jahre ist sie alt geworden. Auch sie ist an Krebs gestorben. Als ich an ihrem Bett sitze, mich auch frage, wo Gott ist, sage ich – auch mit Tränen in den Augen: „Ich schulde dir noch eine Schwarzwälderkirschtorte!“ – wohlwissend, dass wir die nicht mehr gemeinsam essen können. „Dann essen wir sie eben woanders“, entgegnet sie. Das war einer der dichtesten Momente meines Lebens. Mit dem Bild Konfirmandin gesprochen: Da war sie, die beeindruckende Brücke. Die Gewissheit, Gott ist bei mir – auch in den Grabenmomenten meines Lebens. Auch dann, wenn ich ihn nicht sehe.
Ich will die Gräben dieser Welt nicht relativieren oder kleinreden. Aber, wenn Gott in Jesus den Tod überwunden hat. Wenn Menschen bis heute für ihr Sterben darin Kraft und Zuversicht finden. Dann will ich glauben, dass Gott selbst alle diese Gräben einst in Christus „überbrücken“ wird. Und auch, dass man Zuversicht wieder finden kann, wenn man sie verloren hat.
Gemeinsam stehen wir an Volodymirs Sterbebett. Ich segne ihn und lege eine Karte auf seine Brust in der Form eines Kreuzes. Darauf zu sehen, eine Gestalt, die die Arme ausbreitet und durch die man hindurchsehen kann in einen weit-blauen offenen und leuchtenden Himmel. Darauf die Worte Gottes: „Ich bin da!“.
Pfarrer Stefan Fischer, Hirschau
Gebet: Gott, bist du der, der sagt: Ich bin bei dir? Auch dann, wenn ich dich vor lauter Nebel nicht sehen kann? Ich bitte dich: Sei da, wenn ich nach dir rufe und auch dann, wenn mir die Kraft dazu fehlt. Durch Jesus Christus, unsern Herrn. Amen.